Robert Görl
“The Paris Tapes”
(CD, Grönland, 2018)
Wenn die Entstehungsgeschichte eines Albums spannender ist als seine Musik, dann ist das ja eigentlich kein Kompliment. Wenn es sich um veröffentlichte Demo-Tapes handelt, dann greift beides aber zusammen und dann stellt das Ganze auch nicht mehr zwingend eine Abwertung dar. Bei Robert Görls “The Paris Tapes”, die jetzt erscheinen, ist es so.
Robert Görl feierte in den frühen 80er-Jahren zusammen mit Gabi Delgado als D.A.F. (Deutsch-Amerikanische Freundschaft) einige beachtliche Erfolge, ihr größter Hit “Der Mussolini” gehörte damals zu den Stücken, die auf keiner guten Fete fehlen durften. So richtig harmonisch lief das Ganze allerdings nicht ab, und so trennte sich das Duo 1982 erstmals, und nach einer gescheiterten Wiedervereinigung 1986 dann erneut.
Robert war so enttäuscht, dass er keine Lust mehr auf Musik hatte. Er ging nach New York und studierte Schauspiel an der namhaften Schule von Stella Adler. Als nach einem Semester auffliegt, dass er trotz Touristenvisum längerfristig in den Staaten zu bleiben plant, wird Robert wegen Verstoß gegen das Einwanderungsgesetz ausgewiesen und darf für zehn Jahre auch nicht wieder kommen. Bei der Einreise nach Deutschland wird ihm verdeutlicht, dass der Wehrdienst auf ihn warte und er sich binnen weniger Tage bei der Armee melden müsse.
Mit einem Synthesizer unter dem Arm setzt sich Robert in den Nachtzug nach Paris, findet dann eine billige Bleibe in Levallois, einem Vorort im Pariser Nordwesten. Da er kein Französisch spricht und niemanden kennt, beginnt Robert so 1987 wieder mit der Musik und bastelt mit seinem Ensoniq ESQ-1 einsam an Songs.
Nach einem Dreivierteljahr in Paris kehrt er nach München zurück und wird auch von der Bundeswehr in Ruhe gelassen. Aus den in Frankreich eingespielten Demos auf Kassetten möchte er ein Pop-Album machen, trifft sich in London mit Mute-Chef Daniel Miller. Dieser verweist ihn an Dee Long, mit dem er dann an neuen Arrangements für die Pariser Stücke arbeitet. Die Albumaufnahmen scheinen nahe, als Görl bei einem Besuch in München auf eisglatter Straße die Kontrolle über sein Auto verliert und beim Zusammenprall mit einem Baum fast stirbt.
Ein halbes Jahr Krankenhaus und Reha folgen. Auch wenn sein Leben gerettet wurde, sein rechter Arm ist stark lädiert, und er muss das Gehen wieder neu lernen. Gefrustet vom Dasein geht Görl nach Asien, um Mönch in einem buddhistischen Kloster zu werden. Nach dreieinhalb Jahren zieht es ihn wieder heim und zurück zur Musik, zuerst als Techno-DJ, im neuen Jahrtausend dann auch wieder als Teil von D.A.F. bei zwei weiteren Reunions.
Die im Info zur CD erzählte Story von den Kassetten, die Jahre später in einem Koffer in der Scheune seines Bruders gefunden werden, relativiert sich durch unser Interview mit Robert, in dem er nicht so klang, als wären die Tapes verschollen gewesen, und auch nicht so, als wenn er nicht schon oft darüber nachgedacht hätte, sie zu veröffentlichen. Lies das Interview hier.
Wie auch immer. Die zehn Tracks auf 49 Minuten besitzen keine Titel, sind schlicht “Part 1” bis “Part 10” benannt. Klanglich besitzen sie höchstens den Reiz des totalen Retro-Sound der späteren 80er-Jahre und bieten hier auch nicht allzu viel Abwechslung – diese sollte wohl dann bei der Ausarbeitung im Studio kreiert werden. Dumpfe Elektro-Bässe treffen auf Synthieflächen und monotone Beats, und doch besitzen die Stücke ihren Reiz, weil man förmlich vor Augen hat, wie der vom Leben gefrustete Görl in seiner Pariser Wohnung sitzt und die Stücke ein Stück weit auch sein Gemüt widerspiegeln – mal fokussierter, mal breiter, mal fragiler, mal auflebend.
So sind Melancholie und Schwere in “Part 2” oder “Part 8” ebenso heraus zu hören wie Progressivität in “Part 3” und “Part 10”, entspannende Momente in “Part 4” und “Part 9” oder Lust auf Tanzbares in “Part 5” oder “Part 7” – und “Part 1” ist eine gute Mischung aus allem. Ein Album für Fans alter Elektrosounds, des Ensoniq ESQ-1 oder von Robert Görl.
Ein Video eines der Tracks gibt es nicht, aber einen guten Eindruck, wohin das Ganze hätte führen können, gibt der Remix von “Part 1”, den kein Geringerer als Vince Clarke für den Record Store Day 2018 angefertigt hat:
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