The 1975
“A Brief Inquiry Into Online Relationships”
(CD, Polydor, 2018)
An The 1975 kam man in den letzten Jahren als Freund von Indie-Musik kaum vorbei. Ihr selbstbetiteltes Debüt aus dem Jahr 2013 erklomm in Großbritannien ebenso die Spitze der Charts wie der Nachfolger mit dem epischen wie schönen Namen “I Like It When You Sleep, For You Are So Beautiful Yet So Unaware Of It” vor zwei Jahren, mit dem sie dann auch in den USA, Kanada und weiteren Ländern Platz 1 erstürmten.
Bei uns hielt sich der Durchbruch mit den Plätzen 57 und 28 der Albumcharts noch im Rahmen, aber wir Deutschen sind halt in der Summe auch nicht so Indie und offen – ist so, leider. 4,3 Millionen Exemplare ihrer Alben verkaufte die Formation um Sänger, Gitarrist und Songwriter Matthew Healy weltweit, nun werden wieder viele dazu kommen.
Mit den 59 Minuten ihres dritten Longplayers “A Brief Inquiry Into Online Relationships” bleibt sich das Quartett aus Manchester treu – was auch nicht so schwierig war, folgt es doch eigentlich keinen Konventionen und bewegt es sich doch zwischen den Stilen. Wenn man nur eine der unbeliebten Schubladen wählen dürfte, dann wäre es wohl der Indie-Pop. Die nicht weniger als fünf (!!!) vorab bereits veröffentlichten Singles untermauern dies.
Das eigentlich gemütlich angelegte “Give Yourself A Try” ist mit knarzig heulenden Gitarren durchsetzt, kommt somit auch rockig daher. In “Love It If We Made It” haut uns Healy gleich zu Beginn “We’re fucking in a car, shooting heroin, saying controversial things just for the hell of it” um die Ohren und entzieht der langsam und durchaus auch funky voran groovenden Nummer so jegliche Entspanntheit, denn schließlich hat die Entwicklung einen auch hinter’s Licht geführt: “Modernity has failed us, and I’d love it if we made it.”.
“TooTimeTooTimeTooTime” zeigt mit seinem Autotune-Gesang, dass hier alles erlaubt ist, warum also nicht auch mal eine im Midtempo tanzbare R&B-Pop-Nummer mit housigem Piano und Dance-Beats. Oder Jazz. Ja, “Sincerity Is Scary” ist eine chillige Jazz-Nummer über die Schwierigkeit, heutzutage aufrichtig zu sein – da versteckt man sich doch lieber: “And irony is okay, I suppose, culture is to blame. You try and mask your pain in the most postmodern way.”
Die fünfte Single “It’s Not Living (If It’s Not With You)” ist ein softrockig-poppiges Liebeslied mit 80er-Charme und Ohrwurm-Charakter. Die Liebe spielt auch sonst eine Rolle. Ob die wunderbare Gitarren-Ballade “Be My Mistake” nun als Fremdgeh-Hymne interpretiert wird oder als Eingeständnis von Fehlern, die man vor allem als junger Mensch macht, das bleibt dem Hörer überlassen. Als ähnlich feine Singer/Songwriter-Ballade entpuppt sich “Surrounded By Heads And Bodies”, das mit ganz wenig Text einer Angela schmachtet und ein paar sehr interessante, sich dazu gesellende Klangelemente aufbietet.
Wo wir gerade bei den ruhigen Stücken sind – “I Like America & America Likes Me” ist eine sphärische HipHop-R&B-Nummer, und “How To Draw / Petrichor” startet als ebenso entspanntes Stück mit effektvoll hinein fließendem Gesang, wird dann aber zu einer technoiden, experimentellen Elektro-Nummer. Auch “Inside Your Mind” bleibt nicht durchgängig die minimalistische Ballade, sondern wird durch Gitarrenriffs aufgeraut. Der Anteil ruhiger Stücke ist durchaus hoch. “Mine” gesellt sich als tolle, warme Jazz-Nummer mit ergänzenden Streicher dazu, und auch “I Couldn’t Be More In Love” kommt balladesk daher mit einer einlullenden Eingängigkeit, die fast schon an Bands wie Chicago erinnert.
Mit dem textlich schon alleine spektakulären “I Always Wanna Die (Sometimes)” bieten The 1975 dann einen Abschluss, der ihre Vielseitigkeit untermauert, den hier trifft chillige Ruhe auf krachende Gitarrenriffs, Pop also auf Rock, und R&B-Färbung ist zu überhören. Bei The 1975 ist alles erlaubt, aber sie machen auch stets etwas daraus, was sich gut anhören lässt. Das ist die Kunst, und da macht es auch nichts, wenn die Songs in der Summe bei weitem nicht mehr so independent anmuten wie das Aussehen der Jungs.
Große Liebe? Gemütlichkeit? Auch, aber nicht nur. Das zuerst auf computerisierte Sprache setzende, dann mit schönen Klängen schließende “The Man Who Married A Robot / Love Theme” setzt in der Mitte des Albums ein gesellschaftskritisches Zeichen, wenn es von einem einsamen Mann erzählt, der sich in das Internet verliebt … das ihn aber zumindest sehr glücklich macht. So sind die Zeiten. Ein Album, das sich mal wieder abhebt vom Einerlei und das durchaus auch wieder überzeugt.
Im Juni sind The 1975 bei Rock am Ring und Rock im Park zu sehen, weitere Daten bei uns wurden bislang noch nicht verkündet. Tickets gibt es z.B. hier bei Eventim (Partnerlink):
the1975.com
facebook.com/the1975
Bewertung: 8 von 10 Punkten
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