Turin Brakes
“Wide-Eyed Nowhere”
(CD, Cooking Vinyl, 2022)
Nachdem die aus London stammenden Olly Knights und Gale Paridjanian über lange Jahre das Duo Turin Brakes bildeten und mit Alben wie “Ether Song” (2003) und “Jackinabox” (2005) auch einige Erfolge in den Charts feiern durften, ist die Formation durch die Aufnahme der schon seit den Anfängen zur Live-Besetzung gehörenden Musiker Eddie Myer (Bass, Gitarre) und Rob Allum (Drums) ins offizielle Line-Up nun schon eine ganze Weile zum Quartett gewachsen.
Auch wenn die Band stilistisch am ehesten im Folk-Pop einzuordnen ist, haben die Jungs immer wieder versucht, ihren Sound etwas zu verändern. Mit ihrem letzten Album “Invisible Storm” entfernten sie sich 2018 allerdings etwas zu weit von der ursprünglichen Schönheit der leisen Töne, klangen zu kommerziell ausgerichtet und lieferten eine sehr durchschnittliche Scheibe ab. Da ist es umso schöner, dass sich die Turin Brakes für ihr neuntes Album “Wide-Eyed Nowhere” Zeit gelassen und wieder zu ihren Stärken zurück gefunden haben.
(© Cooking Vinyl)
Vielleicht war es richtungsweisend, dass ihr zum 20-jährigen Jubiläum im letzten Jahr mit Bonustracks neu aufgelegtes Debüt “The Optimist LP” die Spitze der UK-Indie-Charts eroberte, vielleicht hätte das Quartett sich aber auch so wieder seiner Wurzeln besonnen.
“We don’t want to live in a world like that” erklären die Turin Brakes in der sehr schönen, im April als erster Vorgeschmack veröffentlichten Single “World Like That” ebenso wie “Everything is upside down, everything is inside out”, und doch handelt es sich beim Longplayer nicht um eine von der Pandemie beeinflusste Scheibe, wurden die Stücke doch allesamt bereits vorher geschrieben.
Im Sommer 2021 nahm die Band die Stücke in Ollys Gartenstudio Twin Palms auf und ließ sich hierbei mehr Zeit, als dies in einer kommerziellen Studioumgebung möglich gewesen wäre. Olly berichtet: “Wir haben uns selbst mit dem überrascht, was dabei herauskam; süßere, groovigere Songs, die einfach das sind, was sie eben sind…. Freunde kamen zu Besuch, Kinder sangen hier und da mit, Bienen summten und wir saßen in der Sonne Südlondons, während die Musik aus den Lautsprechern strömte und über den Rasen waberte. Manchmal haben wir beschlossen, dass es in Ordnung ist, es einfach natürlich geschehen zu lassen, sich nicht zu sehr anzustrengen – einfach aus dem Weg zu gehen und die Songs Gestalt annehmen zu lassen, und dass man vielleicht nicht in einer schlechten Lage sein muss, um die tieferen Schnitte zu machen.”
“When You’re Around” gibt als getragen daher kommender, gemütlicher Opener eine angenehme Richtung vor und verströmt als Liebesbekundung mit seinem “everything’s allright” eine positive Grundstimmung, die sich auch in Stücken wie dem leicht bluesigen “The Ride”, dem mit seicht poppigem Groove aufwartenden “This Love” oder dem trockener klingenden “Solid Ground” wiederfindet. Und selbst wenn die zweite Single “Up For Grabs” davon handelt, dass eine Beziehung den Punkt erreicht hat, wo man sich eher wieder loslässt, klingt sie eher wohlig warm als melancholisch.
Da kommt “Into The Sun”, der dritte Vorbote zur Scheibe, trotz im Text verbreiteter Aufbruchsstimmung doch schon mit mehr Moll daher, ohne hiermit an der Schönheit einzubüßen, die den Longplayer diesmal wieder deutlich prägt. Gleichzeitig besticht das Stück mit seiner Mischung als ruhigen und dann auch energetischeren Momenten.
Olly erklärt: “Aus irgendeinem Grund neigen wir dazu, die Musik in Kontrast zu dem zu setzen, was in den Texten besungen wird, das ist oft faszinierend und baut eine schöne Spannung auf. Rob nennt das gerne die eiserne Faust im Samthandschuh. Ich glaube, ich mag es einfach, wie es meine Sicht der Dinge widerspiegelt, es kommt mir ehrlich und ein bisschen komisch vor. Ich muss manchmal heimliche lächeln, wenn ich in den Dingen eine Wahrheit über die menschliche Existenz erkenne. Und das ist alles, was ich versuche, wenn ich diese Songs schreibe. Ich denke, dass andere Leute vielleicht das gleiche Gefühl dabei haben.”
Lediglich das als vierte Auskopplung erkorene “Isloation” passt klanglich nicht zum Rest der Scheibe und man meint, die Turin Brakes wollen hier mal zeigen, wie ihre Stücke im Stil von The War On Drugs klingen würden. Olly Knights erklärt: “Der Song wurde 2018 geschrieben und handelt vom Wunsch nach innerem Frieden und der Akzeptanz von Einsamkeit. Als ich nach geplagt Schlaflosigkeit an einem Strand an der Südküste spazieren ging und die Sonne aufging und den Strand golden färbte, kam mir der Refrain des Songs in den Sinn und wir verwandelten ihn in etwas Fröhliches, in dem wir die Einsamkeit als eine Chance feiern, uns neu zu orientieren und unsere Probleme zu überwinden.”
Weit besser klingen und wirken all die anderen Stücke der Scheibe, in bandtypischer Reduktion mit Fokus auf schönen Melodien und besonderer Atmosphäre, wozu auch noch “Rain And Hurricanes”, das abschließende “No Rainbow” und die mit Piano dahin fließende Ballade “Wide-Eyed Nowhere” als Titelstück gehören. Ein diesmal wieder gut gelungenes Album der Briten mit 43 Minuten, sie sich sehr gut durchhören lassen.
Im Januar sind die Turin Brakes auch wieder live bei uns zu erleben:
09.01.2023 Hamburg, Nochtwache
10.01.2023 Berlin, Privatclub
11.01.2023 München, Kranhalle
13.01.2023 Düsseldorf, Ratinger Hof
14.01.2023 Düsseldorf, Acoustic Winter Festival
www.turinbrakes.com
facebook.com/turinbrakes
Bewertung: 8 von 10 Punkten
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