Die erste Lektion lernte der Konzertbesucher bereits bei seiner Anfahrt, wenn er denn mit dem Auto kam und sie nicht längst schon verinnerlicht hatte: Wenn im 2000 Besucher fassenden Kölner E-Werk und dem direkt gegenüber liegenden, 4000 Besuchern Platz gebenden Palladium gleichzeitig sehr gut besuchte Konzerte stattfinden, dann kommt man lieber mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder parkt gleich im Schanzenviertel, anstatt ewig im Stau vor den Hallen Frust aufzubauen…
Okay, habe ich gelernt. Das Palladium füllten Massive Attack, das E-Werk war mit geschätzten 1500 Besuchern auch gut voll, und irgendwann war ich auch drin. Als Support hatten Birdpen bereits begonnen und wussten hierbei durchaus zu überzeugen, passten stilistisch auch gut zu Archive – nicht so experimentell und als Trio auch klanglich nicht so ausschweifend, dafür aber auch mit langen, teils schweren Rocksongs daher kommend. Ihr Debütalbum “On/Off/Safety/Danger” erschien vor einiger Zeit und war bislang nur Insidern bekannt, die Konzert-Eröffnung für Archive bescherte den Jungs um Dave Pen (oder auch Dave Penny) nun aber sicher viele neue Fans. Erst später sollten die meisten der Besucher – wenn überhaupt – realisieren, dass genau jener Dave Pen auch eine der tragenden Stützen von Archive ist als zweiter Frontmann und Gitarrist, und inzwischen auch als Komponist einiger Tracks, nachdem er seit der “Noise”-Tour den damals ausgestiegenen Frontmann Craig Walker ersetzt hatte – seitdem zählt er zum Archive-Kollektiv. Birdpen wurden vom Publikum gut aufgenommen, und nicht nur nach der Single “Off”, sondern vor allem auch nach dem tollen, episch mit 7 Minuten abschließenden “Only The Names Change”, welches atmosphärisch begann und dann mehr und mehr in fettem Rock aufging, gab es durchaus großen Jubel.
Als Archive dann die Bühne betraten dauerte es nicht lange, bis man verstanden hatte, dass hier kein buntes Potpourri aus Songs ihrer Karriere dargeboten werden würde – die Briten sehen in ihrem Album “Controlling Crowds” offensichtlich so viel Konzeptalbum, dass die ersten neun Songs des Konzerts exakt dem Album entsprachen, ja, auch genau in der gleichen Reihenfolge. Los ging es also mit dem schön langen Titelsong “Controlling Crowds” gefolgt von der starken, rockigen Single “Bullets”. Das Künstlerkollektiv Archive stand mit einem Grundgerüst von sieben Mann auf der Bühne: Pollard Berrier als Sänger der meisten Songs und Gitarrist, besagter Dave Pen als Sänger einiger Stücke und Gitarrist, Steve Harris als Gitarrist, Jonathan Noyce als Bassist, Darius Keeler am Synthesizer, Danny Griffiths am Synthesizer und Sampler sowie Smiley an den Drums. Dazu kam für einige Stücke Rapper Rosko John, der allerdings einen vermasselten Start in den Abend hatte, denn gerade als er erstmals für “Quiet Time” die Bühne betrat, fiel die Technik aus und das Konzert musste für einige Minuten unterbrochen werden, bevor es weiter ging. Einzig Steve Harris wirkte so, als würde er die Pause auch akustisch wegjammen wollen, aber das Konzept sollte wohl nicht gestört werden und so verließen Archive dann kurz die Bühne, um bei “Quiet Time” nach eben solcher erneut anzusetzen. Dass Archive, auf CD eine der aufregendsten und besten Bands unserer Zeit, auch live zum Erlebnis wurden, lag natürlich an den tollen Songs, an einer passenden Lightshow, die die Bühne in verschiedene Farben tauchte, und an guten Videoprojektionen auf einer großen Leinwand über der Bühne, die dem Ganzen bei diversen Songs noch einmal einen besonderen visuellen Reiz verpasste. Nicht persönlich dabei war leider Sängerin Maria Q, die aber ja zuletzt meistens auch immer nur einen Song pro Album veredeln durfte. Sehr interessant und geschickt aber löste die Band ihren Part im “Controlling Crowds”-Konzept – auf der Videoleinwand wurde sie riesig vom Band eingespielt und sang das tolle “Collapse/Collide”, während der Rest der Band sie live begleitete. Gegen Ende des Albums war das Konzept dann offensichtlich doch nicht mehr ganz so entscheidend – “Whore”, “Chaos” und “Razed To The Ground” wurden ausgespart, dafür gab es “Lines” und “The Empty Bottle” vom gerade frisch veröffentlichten, erneut sehr überzeugenden Zusatzalbum “Controlling Crowds Part IV”. Den Abschluss des regulären Konzertteils bildete dann mit “Funeral” wieder der Abschluss aus “Controlling Crowds”. Im Zugabeblock gab es dann doch noch Songs aus der Vergangenheit, und natürlich viel zu wenige, aber dafür hochklassig. Beim Trip-Hop-Rock-Klassiker “Londinium” hatte Rosko John noch einmal einen Auftritt, und dazu gab es dann noch zwei Songs des großartigen 2002er-Albums “You All Look The Same To Me” mit dem wild abrockenden “Numb”, welches live ja noch mal zwei Klassen besser kommt als auf CD, und “Again”. Diese überragende Nummer, für mich einer der besten Songs aller Zeiten, gab es natürlich in der extensiv langen Album-Version als krönendem Abschluss eines tollen, zweistündigen Konzerts. Lediglich drei Dinge waren schade – dass Maria Q nicht auch live dabei war, dass Archive dem Konzept geschuldet nicht noch weit mehr alte Songs spielen konnten (gerade auch Songs vom 2004er-Album “Noise” wie “Fuck U” oder “Sleep” hätte man sich noch sehr gewünscht) und dass auf Grund der eingesetzen Sound-Vielfalt im Archive-Universum trotz der vielköpfigen Bühnenbesetzung noch vieles vom Band kam … zumindest die Akustikgitarre zu Beginn von “Again” hätte man doch auch live hinbekommen können. Trotzdem ein super Konzert einer fantastischen Band.
Die komplette Setlist:
Controlling Crowds
Bullets
Words On Signs
Dangervisit
Quiet Time
Collapse/Collide
Clones
Barstardised Ink
Kings Of Speed
Lines
The Empty Bottle
Funeral
———
Londinium
Numb
Again
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Links:
Website von Archive
Website von Birdpen
Homepage des E-Werk Köln