ROCK AM RING hatte es nicht immer einfach. Nach dem durch einige problembehaftete Jahre bedingten Einbruch der Besucherzahlen in 2018 war das Festival 2019 zum altgewohnten Zuspruch zurück gekehrt und die Fans in Feierlaune hatten bei toller Musik viel Spaß (lies unseren Festivalbericht hier). Dann kam die Pandemie, und mit ihr ein viel zu langes Aus für Musiker, Fans und die ganze Liveevent-Branche. Kein Wunder also, dass alle Beteiligten es gar nicht erwarten konnten, in 2022 nach all dem Verzicht wieder am Nürburgring in der Eifel zusammen zu feiern – und ROCK AM RING wurde vom 3. bis 5. Juni zur triumphalen Rückkehr der großen Festivals.
Einige Tage vor dem Start vermeldete ROCK AM RING mit 90.000 verkauften Wochenendtickets ausverkauft, in der Größe erstmalig beim traditionsreichen, seit 1985 stattfindenden Festival, und so blieb Kurzentschlossenen nur noch eine limitierte Zahl an Tagestickets. Und auch wenn es hier um den Ring geht: Das Zwillingsfestival ROCK IM PARK am Zeppelinfeld in Nürnberg wurde mit 75.000 BesucherInnen und den gleichen Acts ebenfalls zu einem großen Erfolg.
An Pfingsten konnte also endlich wieder unter freien Himmel in großem Stil zusammen gefeiert werden – wie hatte man das ersehnt. Etwas unerwartet entpuppte sich sogar der in der Vergangenheit hier oft miesepetrige Wettergott als Ringrocker und bescherte weit trockenere Tage als erwartet. Bei gutem Wetter wurden vorab die Campingplätze bezogen und hier ging für viele der Spaß bereits mächtig los.
Die Frage, welche Änderungen der Veranstalter-Wechsel von Gründer Marek Lieberberg und später auch seinem Sohn André hin zu den jetzt organisierenden DreamHaus und eventimpresents mit sich bringen würde, ließ im Vorfeld bereits einige Antworten durchklingen. Man habe die pandemiebedingte Festivalpause genutzt, um in einen Dialog mit Fans und KünstlerInnen zu treten und das größte deutsche Zwillingsfestival für die Zukunft auszurichten. Ganzheitlicher und nachhaltiger soll alles werden, von CO2-Ausstoß-Reduzierung und Nutzung von 100% Ökostrom über ein optimiertes gastronomisches Angebot und die digitale Begleitung bis zur Weiterverwertung zurück gegebener Zelte und dem allgemeinen Erlebnischarakter des Festivalgeländes. Letzter war sehr ähnlich den vorigen Ausgaben, mit den drei Bühnen, einem Spaß-Bereich mit Riesenrad – das immer wieder eine tollen Blick über das Gelände bietet – und Auto-Scooter, dazu vielfältigen kulinarischen wie sonstigen (Merchandise, rockige Artikel, Tattoos, Lounges, Gewinnspiele) Angeboten. Hinzu kommen ausreichend bedarfsdeckende Stellen wie gratis Trinkwasser oder Toiletten.
Kommen wir also zu den Änderungen, die deutlich zu bemerken waren. Da wären die von vielen wahrgenommene Nutzung von Mehrweggeschirr, der Verzicht auf in der Vergangenheit oft herum fliegende, auf Papier gedruckte Timetables und vor allem mal das Cashless Payment. Auf dem kompletten Gelände bezahlte man bargeldlos mit einem Chip am Wristband, was für schnelle und kontaktlose Zahlung sorgte, gleichzeitig sicher auch für die geplante Verringerung von Verlust und Diebstahl von Bargeld. Eine sinnvolle Neuerung, auch wenn am Freitag Nachmittag zeitweise technische Probleme ein Aufladen der Chips verhinderten und einige Verkäufer durchaus Unmut über ausbleibendes Trinkgeld äußerten. Insgesamt aber funktioniert das Ganze gut und ist der richtige Weg.
Das Wichtigste aber war und bleibt die Musik, und hier standen viele der bereits für die beiden abgesagten Festivaljahre 2020 und 2021 angekündigten Acts im Line-Up, und auch neue. Das Programm beider Hauptbühnen wurde von RTL+ exklusiv komplett live gestreamt, kostenlos und frei zugänglich im Webbrowser auf RTLplus.de und über die App für RTL+ Premium UserInnen – und wer sich kaum entscheiden konnte, der kann auch jetzt hinterher noch einige Konzerte hier nacherleben.
Die Donots hatten die Ehre, ROCK AM RING 2022 am Freitag um 14 Uhr auf der nun Utopia Stage betitelten Hauptbühne zu eröffnen. Die Sonne lachte, die Temperaturen waren wunderbar, und so hatten sich auch schon viele Livemusik-hungrige Fans eingefunden – was sich umso mehr lohnen sollte, als im Laufe des guten Gigs plötzlich Die Toten Hosen als Überraschungsgäste auf die Bühne kamen, um ihr 40-jähriges Bandjubiläum doch wenigstens kurz mit dem Ring zu feiern, mit “Hier kommt Alex” und dann witzigerweise dem Ärzte-Cover “Schrei nach Liebe”.
Auf der “kleinen” Bühne (Orbit Stage) durften zuerst Akuma Six als Gewinner des Warsteiner Band Contests aufspielen und boten einen sehr ordentlichen Gig mit MC Fitti als Special Guest. Später rockten hier Combos wie Caliban, Stick To Your Guns und Danko Jones, allesamt nicht wenig besucht. Die zweitgrößte Bühne (Mandora Stage) stand am Freitag im Zeichen des HipHop, mit Acts wie SSIO, Masked Wolf und BHZ. So richtig ausgelassen wurde dann die Stimmung, als Jan Delay & Disko No. 1 hier ab 20.30 Uhr eine bestgelaunte Party mit den Fans feierten und Marteria später als Haupt-Act ab 22.20 Uhr die Bude stimmungstechnisch für 90 Minuten abriss mit einem umjubelten, tollen Gig. Dass er hierbei für 2023 ein Marsimoto-Album als dessen letztes ankündigte, war dann auch nur ein kleiner Wermutstropfen inmitten eines weiteren starken Auftritts des Rostockers. Dieser wagte sich dann auch wieder in die Menge – ja, die Pandemie war hier kaum noch zu spüren, und das tat so gut. Dass dann auch noch Campino und Breiti von den wie oben zu lesen sowieso anwesenden Toten Hosen mit auf die Bühne kamen, um “Scheiß Wessis” im Battle mit Marterias “Scheiß Ossis” zu schmettern, war ein weiteres Highlight inmitten einer tollen Show.
Auf der großen Utopia Stage sorgten nach den Donots und You Me At Six die wundervollen Weezer um Frontmann Rivers Cuomo für ein gutgelauntes Rockkonzert, gefolgt von den letztjährigen ESC-Gewinnern Måneskin. Der Abend stand dann auch im Zeichen härterer, flotter Töne, als mit den immer noch gut abliefernden The Offspring und dem mit jeder Menge Ohrwürmern aufwartenden Headliner Green Day gleich zwei alteingesessene Punkrock-Combos für gute Stimmung sorgten – dazwischen noch verjüngt durch die mitreißenden Broilers. Bei Green Day kam es zwischenzeitlich leider zu einigen technischen Problemen mit temporärem Ausfall der Boxen im Bereich weiter weg von der Bühne, auch könnte man die Synchronität der hinteren Leinwände zur Musik definitiv verbessern, aber insgesamt war der Freitag eine großartige Eröffnung des diesjährigen Festivals am Ring – und wer wollte, konnte sich dann im Late Night Special auf der Mandora Stage auch noch mit Scooter müde hypern.
Nachdem die für den Vortag als sehr möglich angekündigte Gewitterfront bereits vorbei gezogen war, sollte sich der Wettergott auch am Samstag noch einmal als wohlwollend erweisen, denn auch hier blieb wieder jeglicher Niederschlag aus und bei besten Temperaturen und viel Sonnenschein konnte weiter abgefeiert werden. Tagsüber verpflegten sich die Fans im zur Institution gewordenen, großen Lidl Rock Store und hatten Spaß auf den Campingplätzen, nachmittags begann dann wieder die Musik zu regieren.
Hierbei bleibt anzumerken, dass es trotz des üblichen erhöhten Alkoholgenusses einiger BesucherInnen äußerst friedlich zuging. Die Masse hatte fühlbar Lust auf Musik und Zusammensein, auf Kennlern-Gespräche und Tanzen, Headbangen und vielleicht auch mal Pogo – aber nicht auf Stress, was für eine überaus angenehme, harmoniegeprägte Stimmung sorgte. Kein Wunder also, dass sich das Polizeipräsidium Koblenz nach dem Festival positiv äußerte: “Alle Veranstaltungstage verliefen weitestgehend ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Das Verhalten der überwiegenden Anzahl der Festivalbesucher war vorbildlich.” Und auch der DRK Rettungsdienst Nürburgring bedankte sich bei einem respektvollen Publikum und vermeldete rund 50% weniger Rettungs- und Sanitätseinsätze im Vergleich zu den letzten Malen.
Auf der Orbit Stage spielten am Samstag Bands wie Kafvka, The Linda Lindas, Don Broco, Die Kassierer und Soundaschule – und auch wenn es sich um die kleine Bühne handelt, auch hier waren immer wieder viele Fans und sehr gute Stimmung zu beobachten. Namhafter ging es natürlich auf der Mandora Stage zu, die mit Baroness, Mastodon, Ice Nine Kills, den stark aufspielenden, einiges an Stagediving sowie Bühnenkletterei bietenden Fever 333 und den am Ring gut bekannten, immer gerne gesehenen Deftones deutlich in harter Metal-Hand war, bevor Rock-Rapper Casper hier mit einem tollen Gig den Abend abschließen durfte.
Auf der Hauptbühne kehrten nach Kodaline und Gang Of Youths die Sportfreunde Stiller mal wieder ins Rampenlicht zurück, die nach eigenen Worten eine amtliche Band-Sinnkrise hinter sich gebracht hatten, um sich nun bald mit einem neuen Album und jetzt schon mit einem Spaß bereitenden Gig wieder zurück zu melden. Nach ihnen konnte sich nicht jeder mit der Ansetzung des Rappers Rin auf der großen Bühne anfreunden, Alligatoah hingegen sorgte dann mit einem äußerst unterhaltsamen und abwechslungsreichen Gig für großen Jubel. Hierfür hatte er sich auf die große Bühne eine ganz kleine als “Mega Stage” gebaut und sorgte mit nicht nur humorvollen, sondern auch intelligenten Songs für viel Begeisterung.
Begeisterung blieb genau das richtige Stichwort für den weiteren Verlauf des Abends hier auf der Orbit Stage. Erst relativ spät wurden Placebo noch als Act vermeldet, und die Briten sorgten mit Stücken aus ihrem guten neuen Album “Never Let Me Go” (lies unsere Rezension hier) ebenso für Stimmung wie mit diversen Klassikern aus ihrer 25-jährigen Karriere. Als Headliner standen dann Muse an, und diese wurden wie schon 2018 zum absoluten Highlight des Festivals. Von der ersten Sekunde an hatten die Briten das Publikum im Griff und es wurde gesprungen, getanzt und mitgesungen – ob zu Klassikern oder ihrer umhauenden Single “Won’t Stand Down” vom Ende August erscheinenden, neuen Album. Matthew Bellamy zeigte einmal mehr, warum er mit seinem Gesang und seinem unglaublichen Gitarrenspiel als Vorzeige-Frontmann gilt. Musik, Licht, Videoeinspielungen, Pyrotechnik, Effekte – was für eine perfekte Show, die nach 90 Minuten mit “Knights Of Cydonia” abgeschlossen wurde.
Für Sonntag war etwas kühleres Wetter ebenso angesagt wie einiges an Regen – und ja, es wurde hin und wieder mal etwas nass, aber für Ring-Verhältnisse immer noch sehr human und im Vergleich zu den Prognosen auch weit weniger, mit trockenem, freundlichem Abend. Einem tollen Abschlusstag des diesjährigen Festivals stand also nichts im Weg, auch wenn die typische Dritter-Tag-Stimmung mit nahender Abreise und zwei Feier-Tagen in den Knochen wie immer nicht mehr ganz so überschäumend war – das gehört dazu.
Auf der Orbit Stage sorgten Acts wie Grandson, 100 Gecs, Drangsal, Digitalism und Boys Noize für eine bunte Mischung an Genres bis hin zu Elektro. Auf der Mandora Stage ging es deutlich rockiger zu, mit Miles Kennedy und Tremonti, Bush und den tollen, schwedischen Alternative Rock ‘n’ Rollern von Royal Republic, deren Frontmann Adam Grahn dann auch direkt nochmal Muse für ihren grandiosen Gig vom Vorabend lobend erwähnte. Mit A Day To Remember ging es noch härter weiter, bevor die Beatsteaks sich am Ring mal wieder umjubeln ließen.
Auf der Utopia Stage sorgten Airbourne ab 15.40 Uhr für ein erstes Highlight. Die australischen Hard-Rocker machten jede Menge Stimmung und sorgten mit ihrer Spielfreude und guten Songs dafür, die am Sonntag schon etwas müden Fans wieder aufzuwecken. Shinedown stellten direkt danach mit einem ebenfalls starken Gig und abwechslungsreichen Songs sicher, dass auch niemand wieder in Lethargie verfallen konnte. Die britischen Metaller Bullet For My Valentine um ihren charismatischen Frontmann Matthew Tuck legten amtlich nach, bevor die Nu-Metal-Veteranen von Korn gewohnt brachial überzeugen konnten, natürlich mit Klassikern wie “Blind”, “A.D.I.D.A.S.” und “Falling Away From Me”.
Als letzte sorgten dann die dänischen Metaller von Volbeat auf der Hauptbühne für gute Stimmung, mit harten wie auch melodischen Songs aus ihrem achten Studioalbum “Servant Of The Mind” (lies unsere Rezension hier) und natürlich etlichen Klassikern. Wer dann noch nicht genug hatte, konnte als Finale des Festivals noch die Punkrocker von Billy Talent bewundern, die mit einem gewohnt guten Gig auf der Mandora Stage den würdigen Abschluss eines triumphalen ROCK AM RING 2022 bescherten. Das insgesamt auch vom neuen Veranstalter-Team sehr gut organisierte Festival sorgte nach all den Einschränkungen der letzten beiden Jahre für jede Menge Glücksgefühle, die man den Fans und Acts immer wieder ansehen konnte. Sicher werden viele der Musik-Begeisterten und Festival-Gänger nächstes Jahr vom 2. bis 4. Juni 2023 gerne wieder in die Eifel kommen und feiern – oder gleichzeitig bei ROCK IM PARK.
Mehr Informationen zu ROCK AM RING findet man auf www.rock-am-ring.com.