In diesem Jahr gab es beim Roskilde-Festival einige organisatorische Neuerungen: So konnte man mit erweiterten Tickets schon vier Tage vor Festivalbeginn sein Zelt auf dem riesigen Campinggebiet aufschlagen. Diese Idee fand anscheinend großen Anklang, denn der Campingplatz war am Mittwoch, einen Tag vor Konzertbeginn, bereits übervoll. Der Nachteil war allerdings offensichtlich: Die Neuankömmlinge mit den “normalen” Tickets mussten sich mühsam ein Fleckchen für ihr Zelt auf einem der bereits vermüllten und “verwohnten” Camping-Areas suchen. Hinzu kam, dass die Anzahl der Toiletten sowie Wasserstellen im Vergleich zu einigen Jahren davor drastisch reduziert worden war. Eine deutliche Verschlechterung der Campingqualität des Festivals.
Verständlicherweise kochte die Stimmung unter den Langzeitcampern bereits allmählich über und als am Donnerstag das Festivalgelände endlich geöffnet wurde, schien es, als würde ein Korken aus einem Flasche mit Überdruck gezogen. Und sofort löste sich die Spannung – die gewohnte friedlich-fröhliche Roskilde-Stimmung war wiederhergestellt. Darüber hinaus hatten wir von Donnerstag bis Samstag bestes Gute-Laune-Wetter: Sommerlich heiße Temperaturen und meist strahlend blauer Himmel.
Da die Konzerte erst am späten Nachmittag losgingen, konnten wir die im Programm angekündigte Umstrukturierung des Geländes und der Bühnen anschauen. Eine wirklich gute Neuerung war, dass die Bühnen zusammengerückt worden waren. Endlich lagen alle sechs Bühnen in überschaubarer Entfernung beieinander, so dass man nicht mehr Ewigkeiten vom einen Ende zum anderen latschen musste. Auch die Bühnen selbst hatten neue Konzepte erhalten, was die Orientierung bei der enormen Größe des Konzertangebots erleichterte: Die Roskilde Arena Stage (ehemals Green Stage), eine fast geschlossene Zeltbühne, war wie früher am äußeren Rand des Geländes platziert und zeigte auch größere Acts wie Turbonegro oder Massive Attack. Von dort ging man zur anderen Seite des Geländes, wo sich in in fast halbkreisförmiger Aufstellung weitere vier Bühnen befanden: der Ballroom für exotischere Musikstile verschiedenster Art, etwas weiter daneben das DJ-Zelt Metropol, dann direkt nebenan der Pavillion als kleine Rock-Club Bühne und nicht weit entfernt und unverändert die Orange Stage mit ihrem riesigen Vorplatz als Hauptbühne. Hier fanden die meisten großen Acts statt, wie Metallica, Iron Maiden, Coldplay, Fu Manchu, Blur, The Cardigans, Queens of the Stone Age, Björk, The Hellacopters und andere. Schräg hinter der Orange Stage befand sich noch ein kleines Extragelände mit der Odeon Stage, die wie der Pavillion ihren Focus auf Rockkonzerte in privaterer Atmosphäre legte.
Da wir nach unserem Rundgang übers Konzertgelände erstmal zum nächsten Strand fuhren, verpassten wir die Opener des Tages, die amerikanische Rockband Electric Six auf der Odeon Stage und die dänischen Garage-Rockers Baby Woodrose auf der Hauptbühne. Leider kamen wir auch zu DJ Erol Alkans Party im Metropol zu spät, der trotzt des sehr frühen Abends und des mäßigen Andrangs mit seinem Indie-Rock, New Wave und punkigem Funk eine wilde Tanzstimmung schuf.
Doch das erste große Highlight des Festivals wartete noch auf uns: Metallica, die um 22.00 Uhr auf der Hauptbühne von tausenden Fans erwartet wurden. Die Band brachten beste Stimmung mit und sofort sprang der Funke zum Publikum über, als der erste Song “Battery” durch die Lautsprecher knallte. Metallica zogen einen der alten Hits nach dem anderen aus dem Hut: Von “Seek and Destroy” über “For whom the Bell talls”, “Master of Puppets”, “Harvester of Sorrow” und “Enter Sandman” war alles dabei, für jeden etwas und jeder Song ein Reißer. Die Menge grölte völlig begeistert mit. Erstaunlich war, dass Metallica nur zwei Stücke von dem ST. ANGER-Album spielten. Bis zum Schluss zeigte die Band eine mitreißende Spielfreude und wirkten dabei so frisch, als wäre das ihr erster Auftritt in diesem Jahr. Auch nach zwei langen Zugaben hatte man immer noch den Eindruck als wollten sie gar nicht von der Bühne. Vor allem Lars Ulrich ging immer wieder zum Mikro, um auf Dänisch mit den Fans zu scherzen.
Durch die Länge des Konzerts erübrigte sich dann mein Vorhaben, einen kurzen Blick in das Arena-Zelt zu werfen, wo etwas später als Metallica das Konzert von Dave Gahan begonnen hatte.
Der strahlend sonnige Freitag brachte uns schon recht früh am Tag ein weiteres Konzert-Highlight: Um 14.00 Uhr trat die Asian Dub Foundation aus Großbritannien im Arena-Zelt auf. Mit Schlagzeuger, Bassist, Gitarrist, DJ, Percussionist und zwei Sängern tobten also sieben Leute auf der Bühne herum und brachten in kurzer Zeit das Zelt zum Überschäumen. Bis in die hinteren Reihen tanzten die Leute zu dem intensiven Dub- Breakbeat- und Reggae-Rhythmen, angefeuert von den beiden Rappern. Die genialen Percussion-Einlagen und -Soli und das sommerlich gekleidete und zum Teil wild tanzende Publikum schuf eine fast exotische Atmosphäre. Diese Band schaffte es ohne Schwierigkeiten, mit ihrer Musik politische Statements zu transportieren, ohne Partystimmung und Spaß an ihrer Musik einzuschränken.
Abends dann hatte das Programm wieder eine der großen Kultbands zu bieten: Iron Maiden, die alten Helden des Heavy-Metal, spielten auf der Hauptbühne vor einer riesigen Menge an alten und jungen Fans. Verschiedene Generationen nebeneinander, hier die Älteren in den Fünfzigern, dort die jungen 18jährigen, tanzten und jubelten begeistert mit, als sofort zu Beginn der Klassiker “Number of the Beast” über den Platz dröhnte. Es kam eine großartige Partystimmung auf, die das gesamte Konzert über anhielt. Bruce Dickinson zeigte sich in bewundernswerter Hochform, stimmlich und körperlich. Wie in alten Zeiten hüpfte und stürmte er über die Bühne, nur unterbrochen von längeren Unterhaltungen mit dem Publikum. Die Band war in bester Spiellaune und ließ die Fans in ihre Iron Maiden-Welt eintauchen. Dazu gehörte natürlich auch das Monster-Maskottchen Eddie, der plötzlich in Übergröße und als König verkleidet über die Bühne stakste, um die Menge zu begrüßte. Von den Songs her spielten Iron Maiden ein ähnliches Set wie auf dem Rock-am-Ring-Festival: Songs der ersten Alben mischten sich mit einigen Stücken aus dem neuen, im Herbst kommenden Album. Als Zugaben folgten dann “Bring Your Daughter … To The Slaughter” und “Run To The Hills”.
Am Samstag präsentierte die Odeon Stage Slovo, das Projekt von Dave Randall, Guitarrist bei Faithless. Die experimentellen, Songs mit ihren schwebenden oder wellenartigen Melodien und Sounds über den Housebeats interessierten zwar durch ihre Eigenwilligkeit, waren aber etwas eintönig und verloren dadurch an Reiz. Zum Tanzen jedenfalls weniger geeignet, eher zum Chill-out in der Sonne, was die meisten Zuhörer auch taten.
Während als Haupt-Acts des Abends Blur und die anschließend Cardigans auf der Orange-Stage das Publikum in ihren Bann zogen, zeigte der Niederländer Tom Holkenburg als Junkie XL im Metropol-Zelt sein Können. Wer noch halbwegs fit war, hatte Glück, denn der DJ ließ den Tänzern mit keine Pause. Die mitreißenden Beats jagten uns immer wieder neu in die Beine. Man musste einfach mitgehen, besonders natürlich bei Hits wie “A Little Less Conversation”.
Am nächsten und letzten Tag schlug das Wetter um, erst Wolken, dann eine kühle Brise und zwischendurch immer wieder Schauer. Viele Leute reisten ohnehin schon ab. Auch wir verstauten unser Zelt, um am Abend – leider noch vor den Massive Attack- und Björk-Konzerten – loszufahren. Nicht nur das Wetter, auch die Aufbruchsstimmung um uns herum ließen bereits leichte Abschiedsmelancholie aufkommen. Doch da rissen uns Gentleman & The Far East Band schnell wieder heraus. Trotz des kühlen Regens draußen und der nun wenig sommerlichen Bekleidung der Leute verbreiteten die Reggae-Musik von Gentleman Tilman Otto warme Sommer-Sonne-Strand-Gefühle. Durch die sehr überschaubare Zuhöreranzahl entstand eine private Atmosphäre, zu der Gentleman beitrug, indem er zwischendurch von der Bühne herunterstieg, um mitten unter den Leuten zu singen.
Für uns wurde das ein sehr schönes Abschiedskonzert, denn wir mussten danach losfahren. Von den Klängen von Massive Attack begleitet gingen wir über das beinahe halbleere Campinggelände Richtung Auto. Das war’s. Erschöpft, aber sehr zufrieden traten wir die Heimreise an.