“Suche experimentierfreudigen Sänger” annoncierte der Münchner Berufsmusiker Ernst Horn vor 17 Jahren in einer Stadtzeitung und fand daraufhin Alexander Veljanov, der aus Nürnberg zum Film- und Theaterstudium in die bayrische Metropole kam. Was folgte, war eine Erfolgsstory in der deutschen Independent-Szene, später auch in breiteren Gefilden.
Deine Lakaien waren geboren, als Symbiose von elektronischer und akustischer Musik, eigenwillig, vor Ideen und melancholischer Schönheit strotzend, zudem mit einer der besten Stimmen ausgestattet. 1986 erschien das erste, selbstbetitelte Album im Eigenvertrieb, 1991 dann noch einmal bei der Plattenfirma Gymnastic, deren Boss Carl Erling als Liebhaber des Besonderen auf die Band setzte und dies bis heute tut, wo sein Label Chrom heißt und die Veröffentlichungen der beiden Musiker zusammen mit dem Major Columbia heraus bringt. Das zweite Werk “Dark Star” erschien 1991 gleich mit und enthielt mit “Reincarnation” einen absoluten Clubhit.
Es folgten Remix-Scheiben, ein Live-Album und das Studioalbum “Forest Enter Exit”, mit dem die Lakaien erstmals in die Charts einstiegen, bevor 1995 “Acoustic” den immer zahlreicher werdenden Fans Mitschnitte der so geliebten Akustik-Tour lieferte. Deine Lakaien hatten es längst geschafft, waren in Szenekreisen aufgrund ihrer Musik, ihrer Texte und ihres künstlerischen Anspruchs zur angesehenen Muss-Band gewachsen. “Winter Fish Testosterone” erschien 1996, bevor es eine Zeit lang ruhiger um die Band wurde. 1999 war es, als die Lakaien dann zum großen Schlag ausholten, mit “Kasmodiah” und der Unterstützung von Columbia auf Platz 4 der deutschen Media Control Charts einstiegen.
Nebenbei machten die Musiker auch solo von sich Reden. Ernst Horn veröffentlichte neben drei eigenen Platten 1989, 1991 und 1998 auch Scheiben mit Qntal und mit seinem noch frischen, mittelalterlichen Projekt Helium Vola. Alexander Veljanov hat in den letzten Jahren ebenfalls zwei Solowerke heraus gebracht.
Nun sind sie als Deine Lakaien mit einem neuen Album “White Lies” zurück, das typisch klingt, ohne große Überraschungen, aber gewohnt interessant und gut. Wir sprachen mit Alexander.
“Das Album ist vielleicht introvertierter, aber sicherlich weniger ein Schritt nach vorne als einer zur Seite.”
MUM: Was bedeutet der Titel eures Albums, “White Lies”?
A: Das steht wörtlich übersetzt für Notlügen, aber man kann es natürlich auch als weiße Lügen übersetzen. das Ganze entstand, weil die Farbe weiß diesmal sehr dominant ist, was ja untypisch für uns ist. Da hat uns dann das Wortspiel gut gefallen in Bezug auf dieses Thema, dass die Verpackung und die Inhalte nicht immer überein stimmen.
MUM: Das ist also ironisch gemeint.
A: Natürlich.
MUM: Wo seht ihr die musikalischen Unterschiede zu eurem letzten Album?
A: Das Album ist vielleicht introvertierter, aber sicherlich weniger ein Schritt nach vorne als einer zur Seite. Wir haben versucht, den Standort zu definieren, wenn man sich umguckt und schaut, was in all den Jahren so passiert ist, aber wir sind auch immer offen für neue Einflüsse.
MUM: Sind die Texte alle persönlich?
A: Die Texte von Ernst und mir sind eigentlich nicht nur persönlich. Es ist immer so gewesen bei Lakaien, dass viele Texte Themen aufgreifen aus verschiedenen Quellen, auch Dinge, die man nicht selbst erlebt oder beobachtet hat.
MUM: Ihr gebt euch auch keine Mühe, dass ein Album ein Hauptthema hat?
A: Bei diesem Album gibt es kein Hauptthema in diesem Sinne, das sind verschiedene Geschichten, sehr unterschiedliche Sachen. Zum einen haben wir emotionale Dinge, zum anderen auch politische Sachen. Man greift eben Themen auf, die zum Leben gehören, die auch immer wieder kommen.
MUM: Eure Musik ist ja, wie du auch gesagt hat, eher introvertiert, düster, ruhiger. Seid ihr privat denn auch so, oder geht ihr auch mal richtig einen abfeiern und sehr das Leben bunt?
A: Wir sind wie alle anderen auch. Das Leben besteht aus allen Phasen, aber wir sind eben eher ernsthafte Musiker, wir machen keine Partymusik. Wir wollen lieber gewisse Inhalte transportieren, die in der Popmusik so nicht stattfinden. Trotzdem würde ich uns nicht nur als introvertierte, nachdenkliche Menschen sehen wollen. Das neue Album zeigt dies aber ja irgendwie auch, es ist doch abwechslungsreich.
MUM: Ein Titel wie “Life Is A Sexually Transmitted Disease” klingt aber natürlich düster.
A: Ach, das würde ich gar nicht mal sagen, das ist eher zynisch.
MUM: “Kiss”, wo du Musik und Text geschrieben hast, klingt ziemlich mittelalterlich. Ist das eine Musikrichtung oder Epoche, die dich beeinflusst hat?
A: Eigentlich nicht so sehr. Ich würde auch gar nicht sagen, dass “Kiss” so mittelalterlich klingt. Das sind die keltischen Wurzeln, die den Song mittelalterlich erscheinen lassen, aber eigentlich steht er musikalisch in gälischer, keltischer Tradition.
MUM: Hast du denn Bezug zu keltischer Musik?
A: Also ich bin da kein Experte, aber ich sehr offen, was Musikrichtungen und -stile betrifft, von den Anfängen der Musik bis in die Jetztzeit. Es war für uns auch immer wichtig in unserer Musik, dass wir viele verschiedene Einflüsse in unseren Stil einbinden.
MUM: Ihr habt kürzlich auf amazon.de eure Lieblingsplatten aufgelistet, da waren ja viele alte und auch sehr rockige Sachen bei. Seid ihr von der heutigen Musik eher gelangweilt?
A: Das nicht unbedingt, aber wenn man zehn Platten zusammenstellen soll, die man als wichtig erachtet, dann sind das oft autobiografische Sachen, die einen beeinflusst haben in einer Zeit, in der man musikalisch noch sucht. Das waren auch nicht meine zehn Lieblingsalben, ich habe eher versucht, zehn Alben zu finden, die ich als für die Entwicklung der Musik wichtig erachte, und verschiedene Genre abzudecken. Diese Liste könnte ich aber um zig Platten erweitern.
MUM: Gibt es jüngere, frischere Bands, die dich begeistern?
A: Ich muss sagen, dass ich, je mehr ich in den Beruf eingetaucht bin, immer weniger Zeit hatte, mich damit zu beschäftigen, was andere machen. Natürlich hört man hin und wieder mal neue Sachen, die man interessant findet, aber es ist so, dass sich sehr viel wiederholt, und gerade in den letzten zehn, fünfzehn Jahren sind nicht viele neue Richtungen aufgetaucht. Aber es gibt immer wieder mal neue Bands, die gut sind. System Of A Down ist zum Beispiel eine Band, die ich vor ein paar Monaten entdeckt habe, und die ich interessant finde, weil sie in all dem Nu Rock- und Nu Metal-Gedöns eine interessante Variante abliefern.
MUM: System Of A Down spielen ja auch bei “Rock am Ring”, habe ich vorhin gelesen. Spielt ihr Festivals im Sommer?
A: Ja, wir spielen einige Festivals, aber hundertprozentig steht da noch nichts fest.
MUM: Spielt ihr gerne auf Festivals?
A: Gerne? Jein. Man muss sich im Klaren sein, dass man mit unserer Musik auf einem Festival niemals die Stimmung erzeugen kann wie auf einem eigenen Konzert. Ich finde es aber immer wieder spannend, sich da zu behaupten in einem sehr bunten Line-Up. Wir waren schon auf diversen, seltsamen Festivals, wo wir Exoten waren, zwischen harten Rockern oder so, und da ist es immer wieder spannend, ob und wie das funktioniert, wenn man sich nicht nur den Fans präsentiert, die sowieso zum eigenen Konzert kommen würden, sondern auch den anderen Festivalbesuchern. Da kann man auch zeigen, was man kann, und wir sind sicherlich eine Band, die auch gerne live spielt.
MUM: Ihr habt bekannt gegeben, dass ihr ohne Michael Popp und Christian Komorowski auf Tour gehen werdet. Wie kam es dazu?
A: Wir haben auf nach der letzten Tour und als es an das neue Album ging überlegt, was wir mal anders machen könnten, was besser werden muss, und da ist die Entscheidung gefallen, es mal mit einem neuen Line-Up zu versuchen, weil das so für uns nicht mehr viel Sinn gemacht hat.
MUM: Wer ist denn dabei?
A: Wir haben einen englischen Gitarristen, Robert Wilcocks, der früher bei Sleeping Dogs Wake gespielt hat, dann haben wir einen Cellisten von den Inchtabokatables, B. Deutung, und eine Geigerin, die eher aus dem klassischen Bereich kommt – ja, das ist das Line-Up.
MUM: Im Dezember habt ihr zwei akustische Konzerte gegeben. Waren diese langfristig geplant oder habt ihr sie kurzfristig angesetzt, weil ihr das Album fertig hattet?
A: Die Akustikidee war eine sehr spontane, die ich hatte. Ich dachte, das wäre ein schönes Zeichen, zwei Fankonzerte zu machen, die nicht groß promotet werden. Die Konzerte wurden eigentlich nur im Internet angekündigt und waren natürlich schnell ausverkauft. Das war ein Lebenszeichen für unsere Fans, nach dem Motto: Hallo, wir sind wieder da und machen für euch die lange vermissten Akustiksets zweimal. Das war immer sehr, sehr beliebt, und wir haben das seit einigen Jahren nicht gemacht.
MUM: Habt ihr die Konzerte mitgeschnitten für irgend welche Bonustracks oder Maxi-CDs oder so?
A: Ja, die haben wir mitgeschnitten.
MUM: Es ist aber nichts Konkretes mit dem Material geplant?
A: Also wir werden kein Album daraus machen, man kann dann ab und an mal was als Bonus den Fans mitgeben.
MUM: Wie ist denn eure Entscheidung gerade auf Hamburg und Berlin gefallen, also nicht auf den Süden, nicht auf den Westen?
A: Ja, wir wussten, dass wir so kurzfristig keine Tour machen können und wollen, und da haben wir uns für zwei, drei Konzerte entschieden, und da sind eben Hamburg und Berlin bei rausgekommen, weil dort auch die entsprechenden Örtlichkeiten zur Verfügung standen. Wir wollten noch in Köln spielen, aber das hat dann leider nicht geklappt. Das wird aber auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir akustisch gespielt haben, die anderen Städte werden also auch mal wieder etwas bekommen. Vielleicht spielen wir sogar auf dem einen oder anderen Festival mal akustisch.
MUM: Mein Lieblingslied auf dem neuen Album ist “Silence In Your Eyes”. Hast du auch eines?
A: Ja, “Silence In Your Eyes” ist in der Tat auch mein Lieblingslied, weil es ein Stück ist, das das ganze Album rechtfertigen würde, selbst wenn die anderen Stücke schwächer ausgefallen wären, was sie nicht sind. Das Stück ist meiner Meinung nach ein Highlight in unserer ganzen Bandgeschichte.
MUM: Ist es denn dann vielleicht auch als Single geplant?
A: Nein, auf keinen Fall, das ist kein Single-Stück. Man weiß ja, dass Singles hauptsächlich aus Promotiongründen gemacht werden, für das Radio und für Clubs.
MUM: Steht schon etwas als zweite Single fest?
A: Wir haben jetzt “Where You Are” als zweite Single in die Clubs und Radios geschickt, da gibt es auch Remixe demnächst.
MUM: Ihr habt auf eurer Website ja einen exklusiven “Generators”-Remix als Real Media-File. Macht ihr die Website selbst, und wollt ihr sie öfters mal durch solche Aktionen interessant halten?
A: Die Website unser Art Director gemacht, mit dem wir die ganze Kampagne um das Album entwickelt haben. Die Homepage ist sehr verspielt, da kann man einiges entdecken. Das ist eine schöne Gelegenheit, auch immer mal was Visuelles zu zeigen und auch mal einen Track, der nicht auf der CD enthalten ist, zu bringen. Den Mix gibt es übrigens auf der Doppel-Vinyl für die Hardcore-Fans. Das ist ein interessanter Alternativ-Mix von uns selbst, der den Song noch einmal anders darstellt.
MUM: Habt ihr die Mixe für “Where You Are” schon anfertigen lassen?
A: Die sind momentan in Arbeit.
MUM: Bei jemand, den man kennt?
A: Ja, doch. Ich denke, VNV Nation sind nicht ganz unbekannt, die arbeiten momentan an einem Remix.
MUM: Macht ihr auch Mixe für andere.
A: Das mit VNV Nation ist so ein Austauschding. Wir haben einen Song für sie geremixt, sie machen jetzt “Where You Are”.
MUM: Aber generell mixt ihr wenig für andere.
A: Ja, wir machen da sehr, sehr selten, vor allem aus zeitlichen Gründen.
MUM: Wie ist es mit euren eigenen Projekte, stehen die jetzt erst einmal zurück, oder läuft da parallel was?
A: Wenn man sich die letzten zwölf Monate anguckt, gab es zwei Veröffentlichungen von Horn und Veljanov, mein Soloalbum im letzten Frühjahr und Helium Vola im Herbst. Wenn man sieht, dass jetzt die “White Lies” erscheint, dann zeigt dies, dass wir sehr fleißig sind. Natürlich schätzen wir unsere Soloprojekte und versuchen, diese zeitlich mit Deine Lakaien zu koordinieren. Dieses Jahr sind natürlich die Lakaien dominierend, obwohl nebenbei sicherlich auch schon wieder an anderen Sachen gearbeitet wird. Helium Vola wird sicher auch irgendwann live stattfinden. Unser Terminkalender ist voll: Im März machen wir eine große Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, mit zwei Akustiksets auf Festivals in Belgien und Holland zum Auftakt. Das Abschlusskonzert findet im Großen SFB-Sendesaal in Berlin statt und wird auch mitgeschnitten. Dann spielen wir in der Alten Oper, sicher auch ein ungewöhnlicher Ort für eine Band. Dann sind so acht bis zehn Sommerfestivals in Planung, unter anderem in Deutschland große Sachen wir Bizarre, Woodstage oder Taubertal, dann in der Schweiz ein Festival. Wir haben auch Anfragen aus Roskilde und aus Italien, und wir wollen dieses Jahr auch eine Europa-Tournee machen, die wir evtl. mit einer zweiten Deutschland-Tour verbinden.
MUM: Wie sind denn eure Erfolge so im europäischen Ausland?
A: Ja, gut, wir haben das in den letzten Jahren nicht sehr voran getrieben, aus terminlichen Gründen, und auch aus technischen Aspekten, aber die Nachfrage ist da, vor allem aus Südeuropa und aus Skandinavien, und evtl. sogar aus den USA. Auch aus Osteuropa gibt es viele Anfragen, aus Polen, Russland, Tschechien und der Slowakei, da gibt es viel zu tun.
MUM: Auf der Website von Chrom habe ich was gelesen, dass ihr bei einem Bericht über diese Satanisten aus Witten unglücklicherweise als Hintergrundmusik gewählt wurdet. Habt ihr das auch gesehen?
A: Wir sind natürlich informiert worden. Das ist eine sehr unangenehme Sache, wenn so ein Boulevard-Trottel im Archiv guckt, was er an Musik da zu stehen hat dazu, und dann auf Lakaien kommt. Das ist weiß Gott an den Haaren herbei gezogen und sehr unverschämt.
MUM: Wenn du einen Song schreibst, weißt du dann, ob du gerade an einem Lakaien-Song oder einem Titel für Veljanov arbeitest?
A: Ja, eigentlich schon. Ich weiß bei einem Text, ob er für mein Soloalbum oder für die Lakaien ist. Ich arbeite auch ganz bewusst auf die verschiedenen Projekte hin, man kann die Sachen ja musikalisch auch nicht unbedingt vergleichen, sonst hätten sie ja gar keine Berechtigung. Es würde ja keinen Sinn machen, wenn Veljanov wie Lakaien klingen würde, bei Helium Vola ist das genauso.
MUM: Kriegst du oft Anfragen, etwas als Gastsänger zu machen?
A: Eigentlich ja.
MUM: Machst du aber nicht so gerne?
A: Mache ich schon gerne, wenn die Leute sympathisch sind und wenn ich Zeit und Lust habe, da was abzuliefern. Ich habe gestern etwas gemacht für das neue Stendal Blast-Album, das hat Spaß gemacht, einen deutschen Titel, was ja selten von mir zu hören ist auf Tonträgern. Ich versuche aber vor allem, auf meinem Album neue Sachen anzugehen, so dass man nicht an einen Band-Kontext gebunden ist, da wird vielleicht noch einiges passieren.
MUM: Du würdest aber nicht wie Peter Heppner auf Discosongs singen?
A: Ich würde es immer von den Personen abhängig machen, das ist mir wichtig. Ich würde mich nicht von einer Plattenfirma anfragen lassen, nur weil ich Alexander Veljanov bin, um irgend einen Crossover zu erzielen, das wäre mir zu billig. das heißt aber nicht, dass ich mir musikalisch Grenzen setzen würde, ich kann mir in verschiedensten Sparten eine Zusammenarbeit vorstellen, wenn alles Spaß und Sinn macht. Nur um Marketinggründe zu erfüllen – das wäre mir zu blöd.
MUM: Vielen Dank für das Interview.
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MUM: Mucke und mehr
A: Alexander Veljanov von Deine Lakaien