Home MusikInterviews Erasure zu ihrem Album “Cowboy” (04/98)

Erasure zu ihrem Album “Cowboy” (04/98)

Autor: Tobi

Solche Tage sind selten. Da steht man um 17 Uhr vor der Arena in Berlin (zusammen mit etwas früh angereisten ca. 50 Fans) und weiß, daß man gleich Erasure treffen wird. Nun sind Erasure ja nicht irgendwer, nein, hier trifft man Depeche Mode-Gründungsmitglied Vince Clarke und den ausdrucksstarken, stimmlich gesegneten Andy Bell. Vor kurzem veröffentlichten sie das wieder mal sehr schöne Album “Cowboy”, das wieder zum alten Stil kurzer Synthiepop-Perlen zurückkehrt, ein Album, auf das kein Synthiepop-Freak verzichten sollte. Erasure sind halt nicht irgendwer. Dementsprechend nervös werde ich zusammen mit Norman vom Bodystyler in die Garderobe der beiden Ausnahmemusiker geführt. Die erste Überraschung ist perfekt, als wir beide erblicken, also auch den – sagen wir – Interviews nicht gerade liebenden Vince, der allerdings einige Meter vom Interview-Tisch auf einer Couch sitzt, Bierchen vor ihm, Gitarre in der Hand. Wir setzen uns also zu Andy und beginnen das Interview.

Erasure "Cowboy" Jetzt bestellen bei Amazon.de

“Der beste Grund hierher zu kommen ist das Bier. Das deutsche Bier ist das allerbeste in der Welt.”

(Vince erblickt das Aufnahmegerät und kommt zum Tisch gelaufen)

Vince Clarke: Was ist das denn, ein Mini-Moog?

MUM: Nein, nur ein Weltempfänger mit einem sehr guten Mikrofon!

Vince Clarke: Der sieht klasse aus.

(Vince setzt sich wieder etwas abseits auf seine Couch)

MUM: Stimmt es, daß Ihr einen Song zusammen mit den Sparks macht?

Andy Bell: Ja, das stimmt. Wir haben das schon getan. Die Sparks haben aber momentan keinen Plattenvertrag und daher müssen wir warten, bis sie irgendwo unterzeichnen.

MUM: Also wird der Track als Sparks-Song veröffentlicht.

Andy Bell: Ja. Sie haben ja nicht nur mit uns zusammen aufgenommen, sondern mit vielen anderen Musikern auch, so daß es mehrere solcher Songs für eine Scheibe gibt. Aber ich glaube, sie haben das Mastertape auch verloren, oder?

Vince Clarke: Nein, haben sie nicht.

(Vince sitzt immernoch auf der Couch, was wir zu ändern versuchen)

MUM: Vince, Du machst ja auch Remixe für andere Acts. Magst Du die Tracks immer, an denen Du da arbeitest?

(Vince greift sein Bierglas und kommt zu uns an den Tisch … geschafft!)

Vince Clarke: Ich mache ja nicht sehr viele Remixe, aber wenn ich das tue, dann auch nur, wenn ich den Song gut finde.

MUM: Zum neuen Album. Warum ist es “Cowboy” betitelt?

Andy Bell: Wir wollten es eigentlich “Saucage” nennen, “Würstchen”, aber das wollte die Plattenfirma nicht, also nannten wir es eben “Cowboy”.

MUM: Ist ja auch besser, als Cowboy auf die Bühne zu gehen als als Würstchen. Mögt Ihr Cowboy-Filme?

Andy Bell: Ich nicht.

Vince Clarke: Ich ja.

MUM: Hast Du einen Lieblingscowboy?

Vince Clarke: Hmm, der beste Western, den ich kenne, ist der letzte Western, den Clint Eastwood je gespielt hat. Er heißt “The Unforgiven” und ist wirklich der allerbeste Cowboyfilm.

Andy Bell: Ich liebe “Lost In The Dust”

Vince Clarke: “Lost In The Dust”?

Andy Bell: Mit Divine. (Vince lacht). Das ist der einzige Western, den ich mag. Da spielte Divine ein Cowgirl, ich glaube, das war sein letzter Film vor dem Tod.

MUM: Zurück zur Musik. Kennt Ihr die “It Never Happens To Me”-Tribute-To-Vince-Clarke-CD?

Vince Clarke: Aus Schweden? Ja, die habe ich mal gehört.

MUM: Wie gefällt sie Dir?

Vince Clarke: Ja, die ist okay.

MUM: Wie fühlst Du Dich, wenn andere Bands Deine Tracks covern?

Vince Clarke: Ich finde das toll.

MUM: Wißt Ihr schon, welches Eure nächste Single wird?

Andy Bell: Es könnte “Rain” sein. Sollte es jedenfalls sein. (auf Deutsch:) Es hängt davon ab, ob die Plattenfirma Mut hat.

MUM: Habt Ihr eigentlich viel Einfluß auf die Covergestaltung?

Andy Bell: Wir sagen JA oder NEIN.

MUM: Aber Ihr macht selbst keine Vorschläge.

Andy Bell: Nein, das tun wir nicht.

MUM: Wenn man nun “Cowboy” mit dem letzten Album “Erasure” vergleicht, dann war dieses doch viel experimenteller. Ihr habt lange Tracks geboten und Diamanda Galas als Gastsängerin eingebaut. Nun seid Ihr zurückgekehrt zu Euren Wurzeln, macht wieder die typischen dreieinhalbminütigen Popsongs. Warum?

Andy Bell: Wir wollten wieder etwas Gegensätzliches machen, so daß es für uns interessant bleibt. Manchmal geht man dazu auch immer weiter zurück.

Vince Clarke: Bald klingen wir wieder wie Depeche Mode damals. (lacht) Unser nächstes Album heißt dann “Null-tra”, mit einer Coverversion von “Just Can’t Get Enough”.

MUM: Habt Ihr “Ultra” gehört?

Andy Bell: Ja, habe ich.

MUM: Und – gefällt es Dir?

Andy Bell: Ja, sehr. Es ist sehr gut und auch sehr überraschend geworden.

MUM: Und Dir, Vince?

Vince Clarke: Ich habe es nicht gehört.

MUM: Interessierst Du Dich nicht dafür, was Depeche Mode heute machen?

Vince Clarke: Nein.

Andy Bell: Wir sollten wirklich “Just Can’t Get Enough” nochmal aufnehmen, ja, das sollten Erasure tun, das wäre gut.

MUM: Warum habt Ihr Euch “Heart Of Glass” von Blondie als zu covernden Song ausgesucht?

Andy Bell: Wir haben einen Song, “Rapture”, für ein Blondie-Tribut-Album aufgenommen, das wurde dann aber verworfen. Wir scheinen diesen Tribute-Alben kein Glück zu bringen.

Vince Clarke: (lacht los) “Fragt bloß nicht Erasure, fragt bloß nicht Erasure!!!”

Andy Bell: “Heart Of Glass” haben wir für die Livekonzerte gemacht.

MUM: Kleidet Ihr Euch eigentlich privat genauso bunt und schrill wie auf der Bühne?

(Vince prustet los, Andy zeigt auf sein doch sehr normals Interview-Outfit)

MUM: Immerhin leuchtet Andys Shirt grell grün! Ein anderes Thema. Es gab ja mal eine Zeit, so um die Veröffentlichung von “Wild!” rum und noch einige Zeit danach, da ging jede Erasure-Single sofort in die britischen Top Ten, und nicht nur diese. Nun…

Andy Bell: Nun nicht mehr!

MUM: Was meint Ihr, woran das liegt?

Andy Bell (auf Deutsch): Weil wir altmodisch sind, vielleicht, und die Charts sind zu schnell und zu voll von jungen, gutaussehenden Dingern.

MUM: Was haltet Ihr von all den Boygroups?

Andy Bell: Die Boygroups sind alle schwul!

MUM: Habt Ihr eine Lieblings-Boygroup?

Andy Bell: Nein. Doch. Ich mag Take That.

Vince Clarke: Ja, die sind nett. Aber die gibt es ja nicht mehr.

Andy Bell: Ja, das sind schlechte Neuigkeiten.

MUM: Was denkt Ihr über die Musikindustrie heute, wo Acts oftmals ihre Lieder weder selbst texten noch komponieren?

Vince Clarke: Ich weiß nicht.

Andy Bell: Das ist wie früher in den Sechzigern, als Schreiber wie Bacharach & David Songs schrieben und die in verschiedenen Ländern von verschiedenen Interpreten veröffentlicht wurden, sogar Streits entbrannten …

Vince Clarke: Was, Streits?

Andy Bell: Ja, zum Beispiel zwischen Dusty Springfield und Dionne Warwick, wer denn nun den Song zuerst rausbringen würde, England oder Amerika.

MUM: Apropos Amerika, tourt Ihr dort?

Vince Clarke: Ja.

MUM: Wie reagieren die Leute dort auf Eure elektronische Musik, ist es doch ein auf Gitarrenmusik aufbauendes Musikbusiness dort?

Vince Clarke: Nein, es gibt dort genauso ein elektronisches Publikum.

Andy Bell: Man muß nach Amerika gehen um zu sehen, daß die Amerikaner nicht so bescheuert sind wie sie im Fernsehen verkauft werden, in Serien wie “Baywatch” oder so.

MUM: Warum sprichst Du eigentlich solch ein gutes Deutsch, Andy?

Andy Bell: Ich habe das in der Schule gelernt. Außerdem sind meine Mutter und mein Vater Deutsche.

(Alle lachen laut los!!!)

MUM: Welche Songs sind Eure persönlichen Erasure-Lieblingstracks?

Andy Bell: Ich denke, es ist “Home”.

Vince Clarke: Wie hieß noch der Song, für den wir in Amsterdam das Video gedreht haben?

Andy Bell: “Am I Right?”

Vince Clarke: “Am I Right?”, genau, das ist mein Lieblingssong.

MUM: Was hört Ihr zuhause für Musik?

Andy Bell: Nicht sehr viel. Ich bin mit einem alten Hippie verheiratet, also hören wir zum Beispiel James Taylor und solche Geister.

MUM: Wenn man irgendein anderes Konzert besucht, dann trifft man meist ein bestimmtes Publikum an, bei Euch ist das nicht so, da kommen alle Arten von Menschen zusammen. Wen wollt Ihr mit Eurer Musik denn eigentlich erreichen?

Vince Clarke: Das ist doch das beste, die Allgemeinheit anzusprechen. Das ist das beste Publikum.

Andy Bell: Ja.

MUM: So, unsere Fragen haben wir durch. Habt Ihr denn schon etwas vom deutschen Essen ausprobiert?

Andy Bell (auf Deutsch): Er (deutet auf den grinsenden Vince) liebt gerne Wiener Schnitzel, aber es ist österreichisch, und ich habe gerne Currywurst oder Fleisch mit Zwiebel oder sonst noch was. Und Rotkartoffeln? (schaut uns fragend an)

MUM: Rotkohl, ja, das ist lecker. Habt Ihr Euren eigenen Koch dabei?

Vince Clarke: Ja, aber nicht, weil wir kein deutsches Essen mögen, sondern weil diese Catering-Firma für unsere gesamte Crew sorgen muß von sieben Uhr morgens bis zwei Uhr am nächsten Morgen.

Andy Bell (auf Deutsch): Ich hätte gerne diese Cook-Pfanne? Wie heißt das, Pfann-cooke?

MUM: Pfannkuchen.

Andy Bell (mit vor Begeisterung weit aufgerissenen Augen): Mit Sauerkirschen oder so, die bekommst Du in England nicht. Die schmecken wundervoll.

Vince Clarke: Was ist das?

(Andy erklärt Vince kurz mit schwärmerischen Worten die Zusammensetzung eines Pfannkuchens)

MUM: Das ist doch wenigstens ein guter Grund, hierher zu kommen.

Vince Clarke: Der beste Grund hierher zu kommen ist das Bier. Das deutsche Bier ist das allerbeste in der Welt.

MUM: Aber das könnt Ihr ja in England auch kaufen, oder?

Vince Clarke: Ja, schon, aber ein deutsches Bier vom Faß nicht, und das ist klasse.

MUM: Eines muß ich noch fragen. Im letzten Jahr auf der Tiny-Tour habt Ihr in Berlin nur 85 Minuten gespielt, mit nur einem Song als Zugabe, in Hamburg hingegen länger. Warum? Ist etwas schiefgelaufen?

Vince Clarke (überlegt): Wir waren spät dran, da der Club Probleme mit dem Licht hatte, und somit kamen wir erst spät auf die Bühne und konnten nicht mehr ganz so lange machen.

MUM: Was mögt Ihr sonst an Deutschland?

Vince Clarke: Was anderes als das Bier?

Andy Bell: Die Männer. (beide lachen laut los!)

Vince Clarke (wiederholt die spontanen Antworten beider Seiten): Das Bier! Die Männer!

MUM: Also die Bier-trinkenden Männer. Was macht Ihr nach der Tour?

Andy Bell: Die Tour geht noch lange. Wir gehen nach Amerika, machen einige Festivals, gehen dann wieder nach Amerika.

Vince Clarke: Dann gehen wir nach Australien, Neuseeland, Süd-Afrika, Israel, Türkei … wir touren bis Dezember.

MUM: Und dann kauft Ihr Weihnachtsgeschenke. Vielen Dank für das Interview.

Anschließend überreicht Norman seine gerahmte Erasure-Zeichnung, die beiden Musiker sind schwer begeistert und finden sich sehr viel besser getroffen als auf den Bildchen, die bei der letzten Tour die zu erwerbenden Tassen zierten (O-Ton Andy: “Da sah ich aus wie eine alte Hexe!”). Vince schwingt sich sofort wieder auf sein Sofa und greift zur Gitarre, stimmt Harmonien aus “Blue Savannah” an, Andy singt dazu noch einen Gruß für alle Hörer der “Elektro-Nische” im Offenen Kanal Berlin ins Mikro (zu hören am Pfingstsonntag, 18. Mai, um 22 Uhr auf 92,6 MHz im Kabelradionetz Berlin). Wir verlassen vollkommen zufrieden das Zimmer und genießen später das Konzert in vollen Zügen … so ist das eben, wenn man seine Long-Time-Heroes trifft und diese dann auch noch so nett sind wie Erasure es waren.

_____________________

MUM: Mucke und mehr (Dieses Interview führte ich mit Norman Winter zusammen für den “Bodystyler”, wo es auch erschien)

Related Articles