Als Will Gregory, Filmkomponist und Arrangeur, zum ersten Mal die wundervolle Stimme von Alison Goldfrapp hörte, da dauerte es nicht lange, bis er Kontakt zu ihr aufnahm. Wenig später war das Projekt Goldfrapp geboren, und bei Mute Records (Depeche Mode, Erasure, Nick Cave) erscheint nun ein Album, das an Schönheit und Stimmungsschaffung kaum zu überbieten ist. “Felt Mountain” präsentiert die perfekte Verschmelzung von klassischer und elektronischer Musik, komplettiert von Alisons erotisierender Stimme. Neun Songs sind zu genießen, die unter die Haut gehen – neun Songs, die zu kalten Winterabenden ebenso passen wie zu Sonnenuntergängen am Sommerstrand, zu langen Bergwanderungen oder zu Flugreisen hoch über den Wolken. Bilder werden erschaffen, und um Bilder geht es den beiden Musikern auch, die zusammen das ganze Album erarbeitet haben.
Vor ihrem Zusammentreffen arbeiteten Alison und Will an verschiedensten Sachen. Sie lebt in London und sang zusammen mit Bryan Ferry, Tricky, Orbital oder für Peter Gabriel, schrieb außerdem eigene Stücke und vertonte diese auch am Keyboard. Er lebt in Bath und war nach vielen Filmscores offen, ein vokales Projekt in Angriff zu nehmen – und so passten sie zusammen wie die Faust auf’s Auge. Neun Monate vergingen, ehe die Arbeiten an “Felt Mountain” abgeschlossen waren. Im November 2000 konnte man Goldfrapp erstmals auf einer deutschen Bühne sehen, bei der Mute-Labelnacht in Berlin, wo sie als absoluter Newcomer vielumjubelt waren und den meisten Künstlern locker die Show stahlen. Am folgenden Morgen traf ich mich mit Alison und Will zum Interview.
“Ich denke, sowohl Klassik als auch Pop sind in unserer Musik zu finden, und viele Stile mehr, das ist wirklich eine Mixtur aus verschiedensten Elementen.”
MUM: Als ihr euch zum ersten Mal getroffen habt, hattest du, Will, ja bereits vorher Musik von Alison gehört. Was für Musik war das?
W: Ich hatte einen Track gehört, den Alison selbst geschrieben hatte, das war eine frühe Version von “Human”, und die hat mich so begeistert, dass ich sie kontaktiert habe.
MUM: Wie arbeitet ihr zusammen, wie ist die Verteilung?
A: Wir machen alles zusammen, wir schreiben die Stücke zusammen, erarbeiten sie zusammen, alles läuft Hand in Hand.
MUM: Es ist Alisons Gesicht, das auf dem Cover zu sehen ist, und die Band trägt ihren Namen – warum versteckst du dich hinter ihr, Will?
W: Ich verstecke mich nicht. Alles, was du visuell machst, hat eine Beziehung zur Musik, und Alison stellt eben die optische Komponente der Musik dar, repräsentiert sie, ist das Bild zur Musik.
MUM: Euer Konzert gestern war toll. Plant ihr, visuell in den Konzerten noch mehr zu bieten, vielleicht Filme oder andere Projektionen?
W: Es ist noch früh, dazu etwas zu sagen. Wir wollen die Konzerte nicht dramatisieren. Wir würden, wenn wir als Headliner auf Tour gehen, lieber noch orchestraler spielen, aber das wird man sehen.
A: Viele Leute meinen, sie müssten einen Film zur Musik bieten, sich darin darstellen, aber das lenkt ab. Wenn du eine Band live siehst und im Hintergrund läuft ein Film, worauf achtest du dann, auf die Band oder auf den Film? Damit die beiden Komponenten wirklich gut zusammen passen, muss man sehr genau an der Umsetzung arbeiten. Wir hoffen, unsere Musik schafft die Bilder, so dass wir sie nicht noch als Hintergrund brauchen.
MUM: Als ihr das Album aufgenommen habt, habt ihr da schon darüber nachgedacht, wie ihr es live umsetzt?
W: Nein, haben wir nicht. Wir sind ins Studio gegangen und wollten uns keine Beschränkungen auferlegen, so dass wir zum Beispiel bei einem Streichersound gedacht hätten, wie zur Hölle er später live umzusetzen wäre. An so etwas denkt man erst später, nachdem das Album fertig ist und das Label sagt: “Hey, wir haben einen Gig für euch”.
MUM: Waren die Musiker, die man gestern auf der Bühne gesehen hat, auch am Album beteiligt?
W: Ja. Rowan spielte Percussions auf “Human” und “Pilots”, vielleicht auch noch woanders, das steht im Booklet. Andy hat Instrumente wie Bariton Ukulele oder Koto gespielt bei “Paper Bag”. Der Vilolinist war zu beschäftigt, auf dem Album zu spielen, aber ich bin sicher, beim nächsten ist er dabei.
MUM: Alison, hast du Vorbilder als Sängerinnen?
A: Ja, viele. Ich mag Francoise Hardy, oder die Sängerin, die bei vielen Ennio Morricone-Stücken zu hören ist.
MUM: Von den Projekten, bei denen du vorher gesungen hast, hat dir da eines besonders gut gefallen?
A: Nein, eigentlich nicht. Mit Bryan Ferry habe ich mal etwas gemacht, was toll war, weil er einfach ein sehr interessanter und netter Mann ist. Er hat mir viel über die Roxy Music-Zeit erzählt, und außerdem hat er eine tolle Stimme.
MUM: Ist es etwas Besonderes für euch, auf Mute Records zu sein, die man ja für sehr gute Musik und auch gute Arbeit mit den Künstlern kennt?
W: Ich wusste eigentlich nicht viel über Mute Records, bis wir unterschrieben hatten. Das Wichtigste für uns ist die totale Freiheit, das tun zu können, was wir tun wollen, und bei Mute können wir dies.
MUM: Wie kam eure Verbindung zu Mute zustande?
A: Irgend jemand hat Daniel etwas von uns vorgespielt, und kurz darauf hat er uns unter Vertrag genommen. Es ist schon schön, bei einem Label zu sein, das etwas Besonderes ist.
W: Daniel Miller hat jetzt auch einen Remix für “Utopia” gemacht. Wir hatten sieben Remixe machen lassen, und einer war von ihm.
A: Das ist auch etwas Gutes an Daniel. Er hat unglaublich viel Ahnung von Musik. Wenn er dir seine Meinung über ein Stück sagt, dann bist du auch wirklich gespannt, wie er urteilt, weil er weiß, wovon er spricht. Das ist sicher sehr ungewöhnlich für den Chef einer Plattenfirma.
MUM: In eurer Musik ist auch etwas Ironie versteckt.
A: Wir haben einen englischen, sarkastischen Humor, der auch in der Musik versteckt ist.
MUM: Seht ihr euch mehr als Popmusik-Projekt, oder vielleicht eher in der Tradition von Chansons oder Klassik, wo in Konzerten die Leute ruhig zuhören und erst nach den Stücken applaudieren?
W: Die Sache ist die, dass wir unsere Musik nicht für das Publikum schreiben. Sie entsteht im Studio als Landschaft, die in unserem Kopf ist. Wir hatten bis jetzt überhaupt keine Ahnung, wie Leute auf die Musik reagieren, der gestrige Abend war also spannend für uns.
A: Ich denke, sowohl Klassik als auch Pop sind in unserer Musik zu finden, und viele Stile mehr, das ist wirklich eine Mixtur aus verschiedensten Elementen.
MUM: Würdet ihr es gerne sehen, wenn das Publikum während der Songs klatscht, oder ist euch das lieber, wenn sie ruhig sind?
A: Mir ist es völlig egal, was sie tun, man kann das ja nicht diktieren. Wenn die Leute, wie gestern, in Stühlen sitzen, dann ist es nicht möglich, zu erkennen, ob sie nun gerade gelangweilt sind, oder ob sie einem gerne zuhören. Wenn das Publikum steht, dann kann man dies leichter einschätzen.
MUM: Alison, deine Stimme wurde ja sicher ausgebildet…
A: Nein, ich habe nie Gesangsunterricht gehabt. Ich denke, man kann viele verschiedene Sachen machen, wenn die Stimme trainiert wurde, aber wenn das aus dem Inneren kommt, dann ist es auch gut. Die Stimme ist ein Instrument, und man muss dafür sorgen, dass sie das macht, was man möchte.
W: Was natürlich nicht viele können. Ich beispielsweise nicht.
MUM: Will, hast du schon mit anderen Sängern gearbeitet?
W: Nein, niemals, ich hatte auch nie Lust darauf vorher.
MUM: Wusstest du, dass es eine weibliche Stimme sein müsste, als du dich entschlossen hast, mit Gesang zu arbeiten?
W: Nein. Mir ging es mehr um den Kopf hinter der Stimme, dass wir auf einer Wellenlänge liegen.
A: Als wir uns getroffen haben, da hatten wir ähnliche Vorlieben, was Musik angeht, auch in Bezug auf Sounds.
MUM: Welcher Song wird die erste Single sein?
W: Ich denke, das wird “Lovely Head”, in England war es so.
MUM: Ihr habt dort also schon Singles veröffentlicht?
W: Ja, “Utopia” ist die zweite Single vom Album.
MUM: Und was passiert in den Videoclips, passen sie zum Artwork des Albums, mit Landschaften, Bergen oder so?
A: Videoclips sind scheiße.
W: Wir mögen Videos nicht, die passen nicht perfekt zur Musik.
MUM: Die Songs auf dem Album, gab es die größtenteils schon, bevor ihr euch getroffen habt, und ihr habt sie dann zusammen noch einmal ausgearbeitet, oder sind es neue Stücke?
W: Nein, die sind alle zusammen entstanden, bis auf “Human”, den gab es schon vorher.
MUM: Ihr habt die meisten Songs zuhause aufgenommen. Ist dort die Atmosphäre besonders gut, oder wolltet ihr die Produktion billiger halten?
W: Das ist schon aufgrund des finanziellen Aspektes geschehen. Wir sind erst am Schluss ins Studio gegangen, um das Album fertig zu mischen.
MUM: Hattet ihr die Texte zuerst oder die Musik?
W: Das variiert. Manchmal hast du einen Text, um den sich der Song herum kristallisiert, dann aber auch Stücke, die nie den richtigen Text finden.
MUM: Machst du eigentlich weiterhin noch Soundtrack-Scores, oder konzentrierst du dich jetzt voll auf Goldfrapp?
W: Ich werde mich jetzt erstmal eine Weile auf Goldfrapp beschränken, da gibt es viel zu tun. Später komme ich aber bestimmt mal wieder zu Filmscores zurück, ich liebe dieses Genre.
MUM: Habt ihr gestern gemerkt, dass die Reaktion im Saal extrem positiv war auf euer Konzert?
W: Ja, das war toll. Das Publikum schien auch mehr und mehr in die Musik einzutauchen und sie in sich aufzunehmen. Wir haben den Abend sehr genossen.
MUM: Mal eine ganz andere Frage. Kurz nach eurem Album erscheint irgendwann auch das neue Depeche Mode-Album. Könntet ihr euch vorstellen, als deren Support mit auf Tour zu gehen?
W: Das sind eigentlich zwei Fragen, nämlich ob wir Depeche Mode supporten würden, und ob wir überhaupt supporten würden. Ich denke, wenn wir supporten würden, dann wäre es toll, dies bei Depeche Mode zu tun, wir haben sie in paar Mal getroffen, das sind nette Jungs. Ich ziehe allerdings vor, lieber vor weniger Leuten in kleineren Locations zu spielen, die dann aber gekommen sind, um dich zu sehen, auch wenn man als Support vor Tausenden von Leuten spielen kann. Du hast dann aber weniger Platz auf der Bühne, du hast schlechten Sound und so.
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MUM: Mucke und mehr
W: Will Gregory
A: Alison Goldfrapp