Als Green Day 1994 ihr drittes Album “Dookie” aufnahmen, da ahnten sie sicher nicht, dass dieses sie zu einer der weltweit bekanntesten Punkrockbands machen sollte. Die Singles “Basket Case” und “When I Come Around” rotierten bei allen Radiosendern, durften auf keiner Fete fehlen und gingen einem auch einfach nicht mehr aus dem Ohr. Sechs Jahre später – klar, Green Day kennt man noch, aber von vielen hört man den Zusatz “Gibt es die noch? Das waren doch die mit ‘Basket Case’ damals, oder?” Wie ging es mit den Chartstürmern Billy Joe Armstrong (Gesang, Gitarre), Mike Dirnt (Bass, Gesang) und Tre Cool (Drums) weiter?
1995 veröffentlichten sie “Insomniac”, welches auch noch einige Erfolge verbuchen konnte, aber selbst das gute “Brain Stew” (auch auf dem “Godzilla”-Soundtrack zu finden) konnte nicht an die ehemaligen Hits anknüpfen. Der wirkliche Umbruch für die Jungs aus Kalifornien sollte allerdings erst mit “Nimrod” 1998 vonstatten gehen. Aus knackigem Punkrock wurde Punkpop, bei dem akustische Gitarren mehr und mehr die fetten Riffs der E-Gitarren verdrängten. Alles kein Problem, jedoch ließ die Scheibe in puncto Songwriting gewohnte Qualitäten vermissen, und das, wo man jetzt doch viel mehr auf Songs und Melodien setzte als zuvor – kein Wunder also, dass man “Nimrod” als Flopp bezeichnen könnte.
Nun sind Green Day mit einem neuen Album am Start. “Warning” geht den eingeschlagenen Weg weiter, weiß aber durchaus mehr zu überzeugen, findet man doch eine ganze Menge guter Stücke auf der Scheibe. Zu überraschen wissen Green Day auch, mit “Misery”, einem Stück, das sehr musicalartig klingt und mit verschiedensten Instrumenten plus Orchester aufgenommen wurde. Wie die erste Single “Minority” (Auszug: ‘I wanna be the minority, I don’t need no authority’) schon zeigt, lehnen sich Billy Joe und seine Mannen textlich imer noch auf, sind gerne anti. Wir sprachen mit Bandkopf Billy Joe.
“Weißt du, ich trinke gerne, und ab und an rauche ich auch gerne mal was. Aber ich nehme kein Kokain oder so etwas.”
MUM: Wenn du das neuen Album mit “Nimrod” vergleichst, wo siehst du die größten Unterschiede?
B: Ich denke, “Nimrod” war für uns nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu dem, was wir jetzt vollendet haben. Meiner Ansicht nach hat jetzt eine neue Ära für uns begonnen.
MUM: Würdest du sagen, dass ihr jetzt den Stil gefunden habt, den ihr machen wollt?
B: Ich glaube nicht, dass wir einen spezifischen Stil haben, den wir zu machen versuchen. Wir wissen ja selbst nicht, was wir als nächstes machen werden, wir haben keine festgelegte Schiene. Wir wollen einfach gute Songs schreiben.
MUM: Bei eurem Wandel von einer Punkrock-Band zu einer melodiebetonteren, auch mehr akustische Gitarre benutzenden Band, gab es da einen Punkt, an dem ihr meintet, euch verändern zu wollen, oder kam das mit der Zeit?
B: Wir wollten schon immer unsere Grenzen ein wenig ausloten, aber wir haben nie etwas bewusst gemacht, alles kam mehr natürlich zustande. Wenn ich Songs schreibe, dann denke ich nicht daran, jetzt etwas anderes ausprobieren zu wollen, ich schreibe dann einfach Songs. Wenn man sich das alte Material anhört, dann wird einem natürlich aber klar, dass man sich verändert hat.
MUM: Wenn du Songs schreibst, hast du dann die Texte zuerst oder die Musik?
B: Meistens habe ich die Musik zuerst fertig und warte dann auf die Texte, die sich dazu in meinem Kopf entwickeln.
MUM: Schreibst du alle Songs?
B: Ich komme mit Melodien an, die wir dann zu dritt ausarbeiten.
MUM: Hast du einen Lieblings-Green Day-Song aller Zeiten?
B: Aller Zeiten? Hmm … ein Song, der mir dazu einfällt, ist “409 In Your Coffeemaker”.
MUM: Warum habt ihr euer neues Album selbst produziert?
B: Wir dachten an unsere Erfahrungen in der Vergangenheit, und dass wir viel besser als alle anderen wissen, was wir erreichen wollen. Das war für uns Grund genug, selbst zu produzieren.
MUM: Meinst du, ihr macht das in Zukunft weiter so?
B: Ich weiß nicht. Ich mag es, mit Leuten zusammen zu arbeiten. Diesmal war es aber sicher die richtige Entscheidung, es selbst zu machen.
MUM: Ich habe schon einige Bands gesprochen, die sich zuerst haben produzieren lassen, dies dann irgendwann selbst probiert hatten. Eigentlich waren sie alle der Ansicht, sich nächstes Mal lieber wieder von jemand anderem produzieren zu lassen, weil es einfach zu viel Arbeit war.
B: Ich mag harte Arbeit. Ich denke, wenn man jemanden findet, der etwas mit einem gemeinsam hat, das gleiche Ziel hat, und der weiß, wo du in puncto Kreativität stehst, dann kann man mit ihm bestimmt ein tolles Ergebnis erzielen. Diesmal war es aber anders und wir wollten das selbst machen. Einige Bands sollten sich auch nicht selbst produzieren, weil sie nicht genau wüssten, wie sie es tun sollen, aber wir haben das gut hinbekommen.
MUM: Hat das neue Album einen inhaltlichen Schwerpunkt?
B: Da gibt es verschiedene. Persönliche Freiheit, soziale Freiheit, Hoffnung, Individualität, sich nicht unterzuordnen.
MUM: Würdest du sagen, dass es eine positive Platte geworden ist?
B: Ja, es ist positiver, weil ich meinen Ärger in etwas Positives umwandeln kann, anstatt einfach ärgerlich zu sein und nicht zu wissen, warum eigentlich. Je älter du wirst, desto mehr versuchst du, dir Lösungen zu deinen Problemen einfallen zu lassen.
MUM: Ist es dir immer noch wichtig, Songs zu schreiben, die gegen irgend etwas sind?
B: Ja, für mich schon. Ich will immer eine bessere Person werden und meinen Lebenszielen und Ansichten treu bleiben. Ich bin oftmals eben anderer Meinung, ich bin ein ehrlicher Mensch. Das kommt in meinen Texten am meisten durch.
MUM: Würdest du sagen, du bist jetzt ein glücklicherer Mensch als damals, wo ihr mit Musik angefangen habt?
B: Ja, ich denke schon. Ich weiß jetzt mehr, wie ich meinen Ärger kontrollieren kann, ich ergebe mich nicht so in mein Elend.
MUM: Als du klein warst, wusstest du da schon, dass du Musik machen willst?
B: Ja, schon. Das ist eben das, was ich am besten kann. Ich habe mein Leben lang Musik gemacht. Schule mochte ich nie. Ich wollte auch nie einen normalen Job haben, ich wollte immer etwas tun, was mit Musik zu tun hat.
MUM: Du hast jetzt eine Frau und zwei Kinder. Wenn deine Kinder auch Rockstars werden wollten, würdest du ihnen zu- oder abraten?
B: Die können machen, was sie wollen, solange es der Gesundheit nicht schadet. Ich will nur nicht, dass sie in eine Faschisten-Organisation geraten, oder dass sie Heroin bzw. Kokain nehmen. Sie sollen unabhängig sein, aber weise Entscheidungen treffen, und ich hoffe, dass ich ihnen ein Beispiel sein kann, wie man seine eigene Individualität aufbaut.
MUM: Hast du es je bereut, im Musikbusiness zu sein?
B: Nein. Es war einigermaßen schwer, als “Dookie” solch ein Erfolg wurde. Inzwischen ist es so, dass alles, was ich tue, in meiner Hand liegt. Ich springe nicht durch irgend welche Reifen für Leute, und ich werde mich nicht verändern, nur weil irgend jemand will, dass ich dies tue. Ich mache meine eigenen Regeln.
MUM: Strebst du nach einem weiteren großen Erfolg wie “Dookie”, oder gefällt es dir besser, Platten zu machen und einen festen Stamm an Fans zu haben, die sie kaufen und zu den Gigs kommen?
B: Mein einziges Ziel ist es, gute Songs zu schreiben. Erfolg ist eine Definitionssache. Für mich ist Erfolg, wenn das, was du tust, dich zufrieden stellt. Ich fühle mich in dieser Hinsicht sehr erfolgreich. Man weiß ja nie, was in der Zukunft mit der Band passiert, oder im Leben.
MUM: Gab es mal einen Punkt in der Bandgeschichte, wo ihr darüber nachgedacht habt, die Band aufzulösen?
B: Nein. Es ist hart, mit zwei Leuten so lange eine Beziehung aufrecht zu erhalten, aber man lernt auch, wann man Pausen machen sollte, und wann der Moment gekommen ist, wieder zusammen etwas auf die Beine zu stellen.
MUM: Denkst du, du bist für einen Teil der Jugend immer noch so etwas wie ein Vorbild?
B: Ich versuche nicht, eines zu sein. Es ist schön, wenn sich jemand mit deinen Einstellungen identifiziert und dich auch unterstützt. Die Unterstützung der Fans ist das, was uns antreibt, besonders wenn wir live spielen. Ich bin aber kein Vorbild, ich bin ein ganz normaler Mensch.
MUM: Hat sich eigentlich durch die Geburt deiner Kinder auch deine Musik verändert?
B: Ich denke, alles, was du tust, hat Auswirkungen auf deine Arbeit, wenn du kreativ bist, ob du nun drogenabhängig wirst, Alkoholiker wirst, oder sich etwas in der Familie ändert, etwas persönliches. Aber ich weiß nicht so recht.
MUM: Hattest du jemals größere Probleme mit Drogen oder Alkohol?
B: Nichts, worauf ich stolz bin. Weißt du, ich trinke gerne, und ab und an rauche ich auch gerne mal was. Aber ich nehme kein Kokain oder so etwas.
MUM: Ziehst du dich eigentlich auf der Bühne immer noch gerne mal nackt aus?
B: Nein, das habe ich lange nicht getan.
MUM: Warum hast du das überhaupt getan? Für die Mädels im Publikum?
B: Nein, ich war wohl eher ein Exhibitionist. Ich wollte die Leute irgendwie schockieren, außerdem habe ich alles für einen Lacher gemacht, als Gag. Ich habe bestimmt nie gedacht, dass es sexuell anregend wäre, mich nackt auf der Bühne zu sehen.
MUM: Ist deine Frau denn nicht eifersüchtig, wenn sie mit den Kindern zuhause sitzt und du Konzerte spielst, wo hinterher sicherlich einige Groupies mit dir in die Koje wollen?
B: Nein, weil sie weiß, was für ein Mensch ich bin. Ich halte nichts von dieser Rockstar-Scheiße. Ich brauche keine Groupies und keine Leute, die meinen Arsch küssen. Auch sinnloser Sex bedeutet mir nichts.
MUM: Kommt sie denn manchmal mit den Kindern zusammen mit auf Tournee?
B: Das ist nicht einfach, aber wir werden das bald ausprobieren. Wir brauchen dann Gelegenheiten, es den Kindern angenehm zu machen. Wir touren aber auch gar nicht so viel. In den Staaten spielen wir nächstes Jahr erst, hier in Deutschland aber schon im Dezember.
MUM: Nochmal zurück zum neuen Album. Mein Favorit ist “Misery”. Wie seid ihr darauf gekommen, einen so musicalartigen Song mit einer so großen Vielzahl an Instrumenten aufzunehmen, der klingt ja doch völlig anders als der Rest?
B: Ich weiß nicht. Wir suchen immer neue Herausforderungen. Wir hatten den Song und spielten ihn nur zu dritt, und dann hatten wir Millionen von Ideen, was man damit machen könnte, also haben wir einiges davon umgesetzt.
MUM: Hast du einen Favoriten auf dem Album?
B: Ja, ich mag “Blood Sex & Booze”, ich mag “Waiting”, ich mag “Minority”.
MUM: Wisst ihr schon, welches die zweite Single sein wird?
B: Nein, noch keine Ahnung.
MUM: Was hältst du von der Napster- und MP3-Diskussion?
B: Ich denke, Menschen haben schon immer Musikpiraterie betrieben. Ich selbst kaufe mir unsere Bootlegs. Es gibt keine Möglichkeit, dies alles zu stoppen, und irgendwie finde ich das ja auch cool. Leute stehlen Musik doch schon immer, das Aufnehmen von Cassetten gibt es doch schon ewig. Wenn Napster geschlossen wird, dann wird es etwas anderes geben, was es ersetzt. Das ist nur etwas Neues, worüber sich die Plattenfirmen aufregen, aber mir ist das egal.
MUM: Du kannst also auch Bands wie Metallica nicht verstehen, die massiv gegen Napster vorgehen?
B: Ich denke, die blasen ihre Meinung zu sehr auf. Dadurch ist Napster doch noch viel größer geworden. Und ehrlich gesagt, ich kann sehr gut von dem leben, was ich tue, dann beschwere ich mich doch nicht darüber, dass mir Geld verloren geht, wenn ich sowieso völlig überbezahlt werde. Uns geht es vor allem darum, dass unsere Musik gehört wird. Gerade in der Punkrock-Szene ist es ein harter Weg, bis du Platten in verschiedenen Ländern veröffentlichst und die Leute dazu bringst, deine Musik zu hören. Wir wollen, dass unsere Musik irgendwie verbreitet wird, und wie, das ist uns egal, solange die Leute uns hören können.
MUM: Wie würdest du denn eure Musik stilistisch beschreiben. Den Begriff Punkrock magst du nicht mehr so, oder?
B: Doch, ich liebe das Wort Punkrock. Ich halte mich selbst für einen Punk, das ist mein Lebensstil.
MUM: Welche sind denn deine Lieblingsbands momentan?
B: Ich mag eine Band, die “Common Writer” heißt, und eine andere, die sich “Dillenger Four” nennt. Ich liebe es, auf Konzerte zu gehen, Bands live zu sehen. Gestern erst waren wir in Hamburg in einem Club, der heißt Rote Flora, und da haben ein paar Bands gespielt, das war toll.
MUM: Das sind aber alles Punkrock-Sachen, die du hörst.
B: Ja, sind es. Das höre ich am liebsten.
MUM: Wie siehst du denn beispielsweise die Entwicklung von Bad Religion, die für viele ja eher eine Nichtentwicklung darstellt?
B: Ich habe Bad Religion nie viel gehört. Ich mag die “Suffer”-Scheibe sehr, aber ansonsten habe ich mich nicht groß mit ihnen beschäftigt.
MUM: Weißt du noch, welches das erste Konzert war, dass du besucht hast?
B: Ja, das waren Van Halen, als ich 12 Jahre alt war.
MUM: Und die erste Platte?
B: Elvis Presleys “The Sun Sessions”.
MUM: Du sagtest mal, die Beatles seien ein Einfluss von euch.
B: Ja, ich meine, die Beatles haben alles und jeden beeinflusst, sie haben die Welt verändert. Definitiv sind sie auch ein Einfluss von uns.
MUM: Sind sie denn eine Band, die etwas mit Punkrock zu tun hat?
B: Ich denke, The Who waren mehr verantwortlich für etwas wie Punk, das war die Kombination aus Kunst, Politik und Musik, das war eine Bewegung. Die Mods hatten größeren Einfluss auf das, was später mal Punkrock wurde.
MUM: Gibt es eine Band, mit der ihr gerne mal zusammen spielen würdet?
B: Nein, eigentlich nicht. Ich mag es, mit kleinen Underground-Bands auf Tour zu gehen, mit meinen Freunden zu spielen.
MUM: Gibt es ein Konzert, welches dir immer in Erinnerung bleiben wird, weil dort etwas besonders witziges passiert ist?
B: Es gab da eine Show, die spielten wir zusammen mit einer Jazz-Fusions-Band und einer Dixieland-Band, außerdem war da diese Kultgruppe auf der Bühne. Wir spielten alle zur gleichen Zeit, zur genau gleich Zeit, auf der gleichen Bühne. Diese Kultgruppe, ich erinnere mich nicht an den Namen, hatte einen Typen, der in einem Stuhl saß, und sie huldigten ihm, indem sie ihn fickten, zur gleichen Zeit, wie wir gespielt haben. Da gab es auch noch einen Dezibelmeter, und jedesmal, wenn die Musik zu laut wurde, drehte man den Strom ab. Das war eine verrückte Show.
MUM: Welches sind deine drei Lieblingsplatten aller Zeiten?
B: Hmm … das sind viele. Vielleicht “Energy” von Operation Ivy, “Nevermind” von Nirvana und “London Calling” von The Clash.
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MUM: Mucke und mehr
B: Billy Joe von Green Day