JAW nennt sich ein Trio aus Lüneburg, bestehend aus Pascal Finkenauer (Gesang), Sebastian Steffens (Programmierung, Keyboards) und Kristian Draude (Drums). Auch wenn man in diesem Line-Up keinen Gitarristen ausmachen kann, die Musik von Jaw ist eine Mixtur aus modernem Synthiepop, Gitarre und zeitgemäßen Beats, intelligent und gut gemacht. Pascals Texte sind nur selten leicht zu durchblicken und spiegeln innere Zerrissenheit wider. Über die Bandgeschichte, die Musik, das Album “No Blue Peril”, die Inhalte und die Jawfactory sprachen wir mit Pascal.
“Wenn mich jetzt jemand fragen würde, worum es in den Texten geht, dann wäre das, als ob man einen Träumenden fragen würde, worum es in seinem Traum geht.”
MUM: Erzähl mir mal etwas über die Bandgeschichte.
P: Also es war so, dass Sebastian, der Programmierer und Beatbastler, und ich auf der gleichen Schule waren. Da gibt es ja immer diese Projektwochen, und normalerweise geht es da um stinklangweilige Sachen, sowas wie Batikhemden machen. Sebastian kam dann auf die Idee, ein Projekt Klangforschung zu machen, weil er sich immer schon für Elektronik interessiert hatte. Ich bin dann da eingestiegen und wir haben in fünf Tagen die ersten fünf Jaw-Songs geschrieben. Diese haben wir dann am letzten Tag in den Katakomben der Schule mit Stroboskop-Gewitter und Nebelmaschine aufgeführt. Aufgrund der guten Resonanz haben wir das weitergeführt, haben in Sebastians Wohnzimmer Songs geschrieben. Ich kannte einen Produzenten, Peter Hoffmann, der auch das Album produziert hat. Wir sind mit den Demos zu ihm hin und er meinte, er möchte das machen. Ein halbes Jahr später hatten wir den Plattenvertrag. Kristian, unser fester Schlagzeuger, kam zur Albumproduktion dazu, hat auch Songs mitgeschrieben und sich in die Produktion eingebracht.
MUM: Wart ihr in der Schule auch schon befreundet?
P: Eigentlich hatten wir nicht viel miteinander zu tun. Sebastian kommt auf musikalischer Ebene aus einer technoiden Ecke, aus der House-Ecke, und ich komme aus der alternativen Ecke, sehr Primus-lastigen Musik, sehr experimentell. Eigentlich waren wir sehr grundverschiedene Personen, haben aber gemerkt, dass die Zusammenarbeit sehr gut funktioniert. Auf der einen Seite sind wir völlig verschieden, auf einer anderen Seite wieder sehr ähnlich.
MUM: Wie habt ihr denn in fünf Tagen fünf Songs geschrieben, das muss ja sehr fruchtbar gewesen sein?
P: Ich glaube, dass uns bei dem, was wir vorher gemacht haben, immer etwas gefehlt hat. Sebastian hat vielleicht das Organische vermisst, was Gefühl reinbringt, und ich habe immer das Gefühl vermisst, weil alles sehr experimentell war. Das war vielleicht so etwas wie eine Schicksalsbegegnung, dass man in diesen fünf Tagen festgestellt hat, dass die Zusammenarbeit einfach toll funktioniert. Das Interessante war, dass ich vorher nie mit Elektronik etwas am Hut hatte, sogar Angst davor hatte, weil ich immer gesagt habe, dass alles handgemacht sein muss, echt sein muss. Das Aufeinandertreffen mit diesem Medium war völlig neu und interessant. Sebastian konnte mir da viel beibringen, und ich ihm auch wieder auf anderer Ebene. So war es ein neues Entdecken, und das ist immer schön.
MUM: Hast du vorher ein Instrument gespielt?
P: Ich spiele noch Gitarre, ja.
MUM: Habt ihr die Gitarren auf dem Album gesamplet oder live eingespielt?
P: Die sind live eingespielt, wir haben da einen Studiogitarristen dazu genommen, weil ich die technischen Mittel nicht hatte, die Amps und so.
MUM: Live wollte ihr aber keinen Gitarristen einbinden?
P: Nein. Wir haben das ausprobiert. Wir haben alle Songs noch einmal neu arrangiert für die Livesache, haben den Gitarristen dafür auch noch einmal ins Studio geholt. Das wird jetzt vom Band abgefahren. Es ist auch spannend, ob das funktioniert, wir haben das jetzt vier Gigs ausprobiert, aber es scheint zu klappen.
MUM: Die Liveshow lebt ja eigentlich zum großen Teil von dir. Gut, das Drummen ist energetisch, aber sonst stehst du ja im Mittelpunkt. Wie fühlst du dich auf der Bühne, lebst du dich da aus?
P: Ja, schon. Ich sag immer, dass mir die Bühne die Möglichkeit gibt, Dinge zu tun, die ich in der Gesellschaft nicht machen darf. Mich erschießen lassen, mich hinschmeißen, schreien, provozieren, spucken – das sind alles Sachen, die ich so nicht machen könnte. Das auf der Bühne gibt mir die Möglichkeit, vielleicht fast schon wie ein Schauspieler, auch wenn ich das schon bin auf der Bühne. Ich vergleich das immer ein bisschen mit Method Acting, einem Schauspieler, der aus eigenen Erfahrungen heraus sich selbst darstellt, aber den Abstand dadurch gewinnt, dass es eben doch Entertainment ist. So kann ich eben diese zwei Teile trennen und das ausleben, ohne dass ich es ins normale Leben mit reintrage.
MUM: Habt ihr schon oft live gespielt?
P: Ja, wir hatten etwa 40 Gigs dieses Jahr, und im September ist nochmal eine Tournee, und im Oktober.
MUM: Waren das mehr Gigs in eurer Gegend?
P: Nein, in ganz Deutschland, auch eine ganze Menge Festivals.
MUM: Die geplante Tour, ist das eine eigene?
P: Ja, das ist eine eigene Tour. Wir hoffen, zum Ende des Jahres vielleicht noch eine Support-Tour zu machen.
MUM: Welche Band wäre dir denn da am liebsten, wenn du sie dir aussuchen könntest?
P: Zur Zeit wären Placebo sehr interessant, einfach vom Anspruch her, von der melancholischen, düsteren Seite. Natürlich gäbe es da noch große Namen, Moby, U2 – es gibt viele Bands. Man würde sich natürlich immer darüber freuen, je mehr Leute man da ansprechen kann.
MUM: Wie waren denn die Reaktionen des Publikums bisher?
P: Durchweg positiv, aber auch polarisierend, weil einige Leute mit dem Dramatischen und dem Pathos, die wir so verbreiten, nicht wirklich umzugehen wussten. Dann kam die Frage auf, ob das echt ist, und was wir überhaupt damit sagen wollen, und ob wir nur so tun, als ob wir tiefgründig seien. Das war aber auch interessant.
MUM: Würdest du sagen, dass ihr mehr Kopfmusik macht?
P: Ich glaube, Sebastian macht mehr Kopfmusik. Ich mache eher Bauchmusik.
MUM: Nimmst du dir viel Zeit für die Texte?
P: Das ist unterschiedlich. Es gibt Texte, an denen ich monatelang sitze, die immer wieder als Fragment auf dem Papier stehen, manchmal auch weggeworfen werden, wieder neu zusammengesetzt werden. Und es gibt Texte wie “Cocoon”, die innerhalb von 20 Minuten entstehen. Ich glaube, es kommt auch immer darauf an, wie schwer nun gerade die Ebene ist, die man versucht, auszudrücken. Bei “Liquefied” war es sehr abstrakt, den Moment des paradoxen Selbstempfindens festzuhalten, das ist dann mehr ein Bauchgefühl, das man ausdrücken möchte. bei “Alec Is Amused” hingegen, wo es um eine Geschichte geht, die wirklich passiert ist, sind die Bilder einfach viel leichter im Kopf zu finden und auszudrücken.
MUM: Ist es dir wichtig, mit Bildern zu arbeiten, oder machst du das automatisch.
P: Nein, das mache ich automatisch. Ich versuche auch immer, mir das selbst zu erklären, weil viele Leute fragen, wie ich Texte schreibe. Ich kam dann irgendwann zu dem Schluss, dass das so ähnlich ist wie Träumen im Wachzustand. Ich teile den Menschen immer ein in die bewusste und unterbewusste Ebene. Die bewusste Ebene ist die, auf der wir uns unterhalten, die können wir sprachlich ausdrücken. Die unterbewusste ist dann diese innere Melodie, die in uns lebt und sehr intensiv ist, die kein wirkliche Sprache besitzt. Wenn wir kreativ sind, dann versuchen wir, dieser unterbewussten Ebene eine Sprache zu geben. So sehe ich das ein bisschen bei den Texten. Wenn mich jetzt jemand fragen würde, worum es in den Texten geht, dann wäre das, als ob man einen Träumenden fragen würde, worum es in seinem Traum geht. Er legt ihn aus, aber jemand, der sich damit auskennt, würde die Bilder vielleicht ganz anders deuten. Also bleibt das alles sehr abstrakt.
MUM: Würdest du sagen, dass das Album ein Hauptthema hat?
P: Das Hauptthema ist eigentlich diese ewige Zerrissenheit des Menschen zwischen den vier Eckpfeilern. Diese sind für mich Moral, Instinkt, Verstand und Gefühl. Wir werden als Personen innerlich immer zwischen diesen Eckpfeilern hin und her gerissen sein, und davon handelt das eigentlich. Ich interessiere mich halt auch sehr viel für diese alten Theaterstücke wie “Tod eines Handlungsreisenden” oder “Endstation Sehnsucht”, also diese Psychogramme von Leuten, diese kleinen, dramatischen Geschichten, die in der normalen Welt passieren.
MUM: Gibt es Bands oder Projekte, bei denen man sagen könnte, dass sie eure Musik beeinflusst haben?
P: Das ist bei uns allen sehr unterschiedlich. Sebastian ist großer Fan von David Bowie oder den Pet Shop Boys, Kristian kommt mehr aus der Popecke. Dass wir musikalische Vorbilder haben, ist klar. Man hört auch auf der Platte, dass wir wie jeder andere Künstler auch unsere Musik aus Teilen von den Sachen, die uns beeinflusst haben, neu zu entwickeln versuchen, dagegen kann man sich nicht wehren. Das, was ein Künstler entwirft, ist eigentlich immer die Collage aus den Dingen, die man schon erfahren hat. Aber ich glaube, dass wir auch versuchen, uns auch anderen Kulturbereichen Eindrücke zu holen. Filme, Schauspieler, Malerei. Wir sind auch alle große Fans von Andy Warhol und seiner Factory, einer Idee, die wir auch in Zukunft etwas auszuarbeiten versuchen.
MUM: Erzähl ruhig mehr zur Jawfactory.
P: Ja, die Idee ist, dass wir auf der Basis von Jaw, falls wir irgendwann eine finanzielle Basis aufbauen können, ein Konglomerat aus jungen Künstler verschiedener kultureller Bereiche bilden, die sich untereinander lehren. Ich glaube, dass es für jeden Künstler wichtig ist, in verschiedene kreative Dinge Einblick zu haben und daraus für seine eigene Sache was zu entdecken. Zudem sind wir alle extreme Ausdrucksfetischisten und suchen nicht nur in der Musik, sondern in allen Möglichkeiten etwas zu finden, wie wir uns ausdrücken können.
MUM: Was macht ihr da außer Musik?
P: Ich schreibe viel, Sebastian macht Fotos, und wir drehen nebenbei noch ein paar Kurzfilme. Wir bauen das gerade erst auf. Die Idee ist, dass wir den Leuten die Möglichkeit geben, ihre Individualität zu erschaffen, was heutzutage viel zu sehr abhanden kommt, und dass wir diese Form von Kulturterrorismus ausüben, sanften Kulturterrorismus. In dem Sinne, dass wir in einer Zeit, in der Emotion leider Gottes immer noch unterdrückt wird, den Leuten einfach ins Gesicht klatschen, und das eben auch auf der Bühne sehr dramatisch machen.
MUM: Wie erfolgreich war denn eigentlich “Alec Is Amused”?
P: Ich glaube, wir haben so 10.000 Platten davon verkauft. Wir sind sehr zufrieden, das war ja alles nicht so knallhart kommerziell angelegt. Ich glaube, dass Jaw eine Sache ist, die sich langsam eine Fanbasis aufbaut, und vor allem eine Albumsache ist. Ich glaube nicht, dass man Jaw verstehen kann, wenn man nur eine Single kennt, dafür sind die Sachen viel zu unterschiedlich.
MUM: Das Publikum will ja aber auch nicht immer komplette Sachen verstehen. Gut, das ist euer Anspruch…
P: Nee, das ist falsch. Die Idee ist, dass wir Leuten die Möglichkeit geben, nur die Oberfläche zu sehen und sich damit zu beschäftigen, sprich nur die Musik zu hören und dabei Spaß zu haben. Wenn es aber jemanden gibt, der tiefer gehen möchte, dann kann er das tun, und dann gibt es Dinge, die er da noch entdecken kann, die Philosophie und die Texte. Aber das ist jedem freigestellt, das ist nicht unser Anliegen, dass wir den Leuten das aufdrücken wollen.
MUM: Bist du denn innerlich eigentlich so zerrissen?
P: Wie soll ich dir das glaubhaft machen? Ich glaube, dass ich so recht gefestigt wirke.
MUM: Bist du ein glücklicher Mensch?
P: Wer ist das wirklich? Ich bin zufrieden mit dem, was ich tue. Ich bin zufrieden, dass ich Leute gefunden habe, mit denen ich Musik machen kann, und dass ich Möglichkeiten gefunden habe, mich auszudrücken, dass ich das tun darf. Ja, aber wirkliches Glück? Ich glaube, das ist eine Sache, nach der man strebt, aber das ist ein Streben, das bin zum Ende anhält. Hoffentlich, weil wenn es einmal vollständig da sein würde, dann würde auch wieder etwas fehlen.
MUM: Beschäftigst du dich noch viel mit Psychologie?
P: Ja. Das Lustige war, dass, als ich die Texte geschrieben habe, was ja auch schon wieder eine ganze Zeit her ist, es eigentlich gar nicht getan habe. Ich habe erst später angefangen, darüber zu lesen, und habe dann in den Traumdeutungsbüchern von Jung zum Beispiel Bilder gefunden, die direkt darauf passten. Das fand ich sehr lustig. Ich habe mich dann zum Beispiel auch mit kollektivem Unterbewusstsein beschäftigt, mit Archetypen, und das unterlegte das Ganze eben noch.
MUM: Sind denn die Texte alle älter?
P: Ja, das Album ist eben schon älter, das war schon vor einem Jahr fertig, es hat dann nur gedauert, bis es jetzt endlich rauskommt. Die Texte sind dann alle in der Zeit entstanden, in der das Album entstanden ist, oder bestehende Fragmente habe ich noch einmal umgearbeitet. Ansonsten lese ich sehr viel, aber weniger Romane, dafür viel Psychologie zur Zeit, eben Jung und Adler, und Lyrik sehr viel.
MUM: War es ein schwerer Weg, den Plattenvertrag zu kriegen?
P: Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, ich bin mir selber gar nicht bewusst, wieviel Glück wir hatten und was für Privileg das ist, das jetzt wirklich machen zu dürfen. Während unseres Abiturs kam der Plattenvertrag zustande. Wir hatten zwei Songs gemacht, und der Produzent ist los und hat die vorgestellt, und schon hatten wir mehrere Angebote zur Auswahl. Wir haben dann zuerst Mega Records genommen, warum, weiß ich gar nicht mehr. Mega und Edel haben dann ja fusioniert, so sind wir jetzt bei Edel, da sind wir aber auch sehr glücklich, denn die lassen uns viel Freiheiten und geben uns viele Möglichkeiten.
MUM: Wenn du sagst, die Songs sind schon älter, dann habt ihr doch bestimmt das nächste Album schon in Arbeit.
P: Wir lassen uns da Zeit. Auch mit dem Texteschreiben lasse ich mir die Zeit, mich mal wieder vollzusaugen wie ein Schwamm, mir wieder die Möglichkeit zu geben, einfach Geschichten zu erfahren. Als die Songs entstanden sind, da waren wir 19, 20, 21.
MUM: Wie alt seid ihr jetzt?
P: 23. Das waren Geschichten aus einer verdammt langen Zeit. Die Schwierigkeit besteht jetzt darin, noch intensiver auf Dinge um einen herum zu achten. Dabei hilft aber das Lesen sicher auch. Wir haben uns aber mit unserem Equipment eine Woche in einem Haus in Dänemark eingeschlossen und schon einmal angefangen, neue Demos zu schreiben, und da sind schon wieder sehr interessante Sachen heraus gekommen. Für nächstes Jahr ist geplant, vielleicht irgendwo drei Wochen ans Meer zu fahren, mit dem Produzenten zusammen, so dass wir vielleicht im Frühjahr anfangen werden, das zweite Album aufzunehmen.
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MUM: Mucke und mehr
P: Pascal von JAW