Als ich das Hotelzimmer betrete wirkt Keith Caputo, 26 Jahre, irgendwie klein und schmächtig – den ehemaligen Sänger von Life Of Agony, der jetzt solo zu Werke geht und sein Debüt “Died Laughing” veröffentlicht, hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Nichtsdestrotrotz wirkt er sympathisch und hat Ausstrahlung, und spätestens nach drei Sätzen weiß ich auch, dass Keith ein interessanter Mensch ist, philosophiert er doch, mit teilweise geschlossenen Augen auf einem Stuhl in der Ecke dahinfließend, über die Musik, das Leben und sich selbst in ausschweifender Weise. Bevor ich allerdings die ersten Fragen stellen kann, übernimmt er die Initiative.
“Ich war nie ein wirklicher Fan von Life Of Agony.”
K: Wie heißt du nochmal?
MUM: Tobias.
K: Wie alt bist du?
MUM: Was denkst du?
K: 27.
MUM: Na ja, fast. 28.
K: Unter welchem Sternzeichen bist du geboren?
MUM: Krebs.
K: Welche ist deine Lieblingsfarbe?
MUM: Schwarz.
K: Ah!
MUM: Und deine?
K: Ein prächtiges Violett.
MUM: Du bist 25?
K: 26.
MUM: Okay. Warum hast du Life Of Agony verlassen?
K: Neue Inspiration. Neuer Spaß. Ich war nie ein wirklicher Fan von Life Of Agony. Ich war ein Joey Z-Fan, das ist mein Cousin, er war der Gitarrist und hatte viel Enthusiasmus, ein sehr fröhlicher Kerl. Ihn fand ich klasse, aber eigentlich nie Life Of Agony. Ich brauchte neues Risiko in meinem Leben, mir war das zu ruhig, zu sicher.
MUM: Und du mochtest Eure Musik wirklich gar nicht?
K: Vielleicht als ich 17 oder 18 war. Ich bin Beethoven und Chopin spielend aufgewachsen, habe Led Zeppelin und die Beatles gehört, die Robert Plant-Solosachen, oder die von John Lennon. The Doors. Queen. Ich kam aus einer anderen Ecke. Bei unserer ersten Scheibe ging ich noch auf’s College und wusste noch nicht, was ich im Leben eigentlich machen wollte. Wir haben die Platte gemacht, ich bin von der Schule abgegangen, wir haben das alles schon Ernst genommen. Damals, als ich langsam eingesehen habe, was ich im Leben erreichen will, habe ich mich selbst sehr zurückgenommen. Es ist dann große Unzufriedenheit in mir entstanden, und irgendwann konnte ich sie nicht mehr aushalten. Das ist wie in einer Liebesbeziehung, wir haben zehn Jahre lang zusammen gelebt, zusammen geschissen, zusammen gefickt, wir haben alles zusammen gemacht.
MUM: Jetzt aber bist du absolut zufrieden, mit deiner ersten Soloplatte am Start?
K: Ja, das ist eine gute Reflektion aller Dinge, die mir vor etwa zwei Jahren so alles passiert ist. Die Songs auf der Scheibe sind ja auch fast alle schon zwei, drei Jahre alt. Für mich sind sie dadurch natürlich ziemlich langweilig. Für alle anderen sind sie neu, aber nicht für mich. Ich arbeite schon längst an meiner zweiten und dritten Scheibe.
MUM: Im Platteninfo wird die Musik mit “heavy melodic alternative groove” umschrieben. Kommt das von dir oder vom Label?
K: Das sind Worte des Labels, das ohne groß nachzudenken versucht, meine Kunst zu beschreiben. Das Album ist sehr romantisch, aber auch etwas unheimlich. Ich habe verwirrende Zeiten durchlebt, immer versucht, auf festem Boden zu stehen. Ich habe versucht, zu verstehen, und das tue ich noch, wie ich Musik in meinem Leben haben möchte. Ich weiß, dass Musik immer ein Teil meines Lebens sein wird, die Frage ist nur, wie. Ich bin immernoch dabei, dies herauszufinden. Wer weiß, was in zwei Jahren sein wird. Vielleicht mache ich ja auch eine Pause und verschwinde für eine Weile.
MUM: Könnte es auch sein, dass du noch einmal in einer Band bist?
K: Manchmal vermisse ich das, in einem Zusammenschluss zu sein, manchmal bin ich froh, dass ich es nicht bin. Ich vermisse die Jungs schon sehr, ich liebe sie, und das ist ja nicht unbedingt das Ende. Wer weiß, vielleicht machen wir in fünf Jahren eine Platte zusammen, wenn sie dann noch mit mir arbeiten wollen. Es gibt für uns keine Gründe, warum wir uns das nicht noch einmal geben könnten.
MUM: Aber wenn jetzt jeder liest, dass du Life Of Agonys Musik nie wirklich mochtest, meinst du wirklich, die Jungs würden noch eine Platte mit dir aufnehmen?
K: Sie wissen ja, dass ich kein Fan war.
MUM: Gut, aber die Leute wussten das sicher nicht unbedingt.
K: Die haben auch gemerkt, dass ich nicht glücklich war. Es sind viele Leute zu mir gekommen und haben mir geraten, die Band zu verlassen. Sie wollten mich nicht traurig auf der Bühne sehen. Sie meinten, ich solle lieber gehen und glücklich sein. Glück kommt nicht aus einer Rock ‘n’ Roll-Band, Glück kommt von innen.
MUM: Die Stücke auf deinem Album sind also sehr persönlich.
K: Ja.
MUM: Wovon handeln denn die Texte?
K: Über mein Verständnis. Über mich, wie ich mein Verständnis ausweite. Über meine Freuden, meine Schmerzen. Über meinen Mut, den Versuch, mich selbst zu heilen, und andere zu heilen. Über den Versuch, mich selbst aufzuwecken, damit vielleicht auch anderen zu helfen, ihren Stress beiseite zu lassen. Über Herausforderungen, die sie bisher für schlechte hielten. Ich bin hier, um dem Herrn zu dienen, also den Leuten zu dienen. Meine Kunst ist meine Religion, und diese Religion ist Liebe, und Liebe ist Gott, und Gott ist Wahrheit, und Wahrheit ist Gewissenhaftigkeit, und eben diese Gewissenhaftigkeit möchte ich den Leuten vermitteln. Ich möchte etwas in ihnen wecken, was sie selbst vielleicht nicht sehen, hören, fühlen oder sehen wollen. Ich will die Leute ermutigen, ihre Ängste und Zweifel wegzuschieben. Musik ist Heroin. Musik ist eine Form der Euphorie. Befreit Euch!
MUM: Aber meinst du nicht auch, und das ist meine Ansicht, dass Musik heutzutage bei weitem nicht mehr so wichtig für die Leute ist wie sie es noch war, als wir aufwuchsen?
K: Ich verstehe, worauf du hinaus willst, aber das gilt nicht für alle Leute. Es gibt Menschen wie dich und mich, die Musik lieben und respektieren, die genauso sauer sind wie du und ich, was das Geschäft aus der Musik gemacht hat. Glaub mir, ich verstehe dich sehr gut, ich denke genauso. Es gibt McDonalds-Musik wie Britney Spears, New Kids On The Block oder Ricky Martin. Wir wollen lieber beim letzten Abendmahl sitzen, fetter und fetter werden. Nicht einen Milchshake trinken und gleich danach an Magenverstimmung leiden. Wir mögen gutes Essen, guten Wein, gute Frauen, guten Sex, gute Gespräche. Die Gesellschaft verändert sich, die Jugend auch. Was auch immer die Industrie tut, ich würde immer zum absoluten Gegenteil raten, weil ich Glauben habe. Und ich glaube, dass meine Musik fortbestehen wird. Ich mache meine Platten nicht so, dass ein erstes Anhören etwas Einfaches ist. Seitdem ich acht oder neun Jahre alt bin höre ich Led Zeppelin, und einige Songs habe ich immer noch nicht begriffen. Jimmy Page hat das auch mal gesagt, dass sie absichtlich Musik machen, bei denen der Hörer vielleicht ein oder zwei Jahre braucht, um zu verstehen, was auf der Platte passiert. So gehe auch ich an Musik heran.
MUM: Led Zeppelin sind also deine ewigen Favoriten und dein größter Einfluss, oder was?
K: Ja, Led Zeppelin, Pink Floyd, The Doors, Queen.
MUM: Und von den neueren Bands, welche hörst du da am liebsten?
K: Radiohead und Beck. Ich höre aber nicht wirklich viel moderne Musik. Ich höre immer die verdammten Sixties, Fiftees, bis zurück zur 20er-Jahre-Musik. Ich würde gerne mich selbst mit einem 1920er Swing mischen, das wäre sicher sehr interessant. Oh, ich habe Kurt Cobain vergessen.
MUM: Worüber handelt dein Song “Cobain (Rainbow Deadhead)”?
K: Von meiner Verabscheuung der Musikindustrie. Ich singe “Cobain was murdered by you”, aber ich war natürlich nicht in ihm, ich kannte ihn nicht. Ich weiß nur, dass er sehr traurig darüber war, wie er sich selbst und die Leute behandelt hat. Er konnte nicht mit der Verantwortung umgehen, solch ein Idol für die Leute zu sein. Vielleicht stand er total unter Druck, keine Ahnung. Nochmal, ich vermute nur, aber das ist auch egal. Es ist ein Stück für ihn, weil noch kein anderer einen Song für ihn geschrieben hat. Ich habe ihn respektiert und ich liebe ihn immer noch, sein Geist ist mit mir. Manchmal denke ich: “Hey, tu das, wie Cobain es getan hätte!”. Ich lerne immer noch, weißt du. Eines Tages möchte ich mich in eine absolute Leere platzieren, und mich dann von allem beeinflussen lassen, nur nicht von mir selbst, und dann eine Platte schreiben.
MUM: Wärest du auch gerne ein so großer Star, wie Kurt es war? Oder machst du lieber Musik für dich und einige Leute, ohne all diesen Rummel und diese Musikmaschinerie dahinter?
K: Ich erwarte das Unerwartete. Sollte ich je so berühmt werden, dann kommt das eben, und ich sehe dann, wie ich damit umgehen kann. Ich weiß nicht, was mein Ziel im Leben ist. Ich möchte den Leuten ein Gefühl geben, wie Chopin es mir gibt. Mir ist das alles nicht wichtig, ich tue es nicht für Ruhm oder aus Eitelkeit. Ich bin Künstler und Musik ist meine Kunst. Wenn ich irgendetwas erreiche, dann tue ich das eben, wenn nicht, dann nicht, ich kann das nicht beeinflussen. Ich tue, was ich kann, aber das ist nicht unter meiner Kontrolle. Wenn die Ewigkeit mir universelle Bekanntheit geben möchte, dann soll sie das tun. Ich müsste dann sehen, ob ich damit klarkomme. Ich bin keine sehr zielgerichtete Person. Die einzigen Träume, die ich habe, ist Ewigkeit auf Erden. Ich will der Vater sein, den ich nie hatte, will meine Kinder aufwachsen sehen, mit einer Mutter, die ich nie hatte, das ist das Wichtigste im Leben für mich. Ich möchte sehen, wie meine Kinder ihre Mutter lieben, und wie ihre Mutter meine Kinder liebt, das wäre mir die größte Freude, der größte Hirnfick. Das ist mein Traum. Für mich bin ich schon erfolgreich, wenn ich dann, wenn der Tod meine Seele haben will, den Leuten etwas gegeben habe, wenn ich einen positiven Unterschied dargestellt habe. Ich möchte auch für Kinder ein Vorbild sein, viel für sie tun. Je mehr Geld ich verdiene, umso mehr Bäume würde ich retten oder pflanzen. Ich würde mein Geld in einer weisen und großzügigen Weise verwenden. Klar würde ich auch für meine eigene Sicherheit sorgen, hätte gerne ein eigenes Studio und meine eigenen Toningenieure dafür.
MUM: Du könntest aber niemals so wie Kurt enden, mit einem Revolverlauf im Mund, und den Abzug drücken.
K: Nein, nein, ich bin nicht so schwach. Ich bin zwar in einigen Sachen unsicher, aber je mehr Geld ich verdiene, umso mehr würde ich mir auch selbst helfen. Ich würde klassisches Piano lernen, ich würde Schlagzeugunterricht nehmen, ich würde mir einen eigenen Yoga-Lehrer nehmen, würde wieder zur Schule gehen und die Musik eine Zeit lang sein lassen. Ich würde B-Filme drehen oder mein eigenes Magazin herausgeben, “Kritiken von Kritiken” oder sowas. Ich würde positive Sachen machen, einen Unterschied machen. Wenn du dir meine Webseite ansiehst, ich versuche, Geld für arme Kinder zu sammeln, ob in Indien oder in Ghettos, für die Heimatlosen und Hungrigen. Ich habe momentan viel zu tun mit Pressearbeit und so, aber ich würde gerne meine eigene Hilfsorganisation gründen.
MUM: Warum lebst du jetzt eigentlich in Amsterdam?
K: Mein Management ist dort. Weißt du, das Album war eigentlich im Januar 1999 fertig und sollte im Juli rauskommen, das passierte aber nicht, dann sollte es im September erscheinen, war aber auch nichts. Da habe ich gemerkt, dass mein Management schlecht ist, und auch das Roadrunner-Büro in den USA war einfach scheiße. Die haben mich wie einen Mülleimer behandelt. Anstatt mich anzurufen und zu fragen, wie wir was machen wollen, oder Vorschläge zu unterbreiten, haben die wohl nur überlegt, was sie mit mir überhaupt anfangen können.
MUM: Kommt denn die Scheibe nun im Endeffekt auch in den Staaten raus?
K: Nein, nur in Europa. Und in Japan, da ist es schon raus, auch mit anderem Artwork. Wir waren gerade dabei, ein neues Cover zu entwerfen, aber die Japaner wollten nicht mehr warten, wollten die CD unbedingt auf den Markt bringen. Die Amerikaner waren schlecht und reaktiv, wirklich nie aktiv, haben nie Initiative ergriffen. Sie haben mich sehr enttäuscht und viel Frustration in mir wachsen lassen, außerdem meine beschissene Zeit vergeudet, und die aller Europäer und so.
MUM: Jetzt bist du aber glücklich, hier in Europa.
K: Ja, auf jeden Fall. Eine Magie baut sich langsam auf, wir befinden uns gerade im Labor.
MUM: Wie waren die ersten Reaktionen, als du zusammen mit Scycs getourt bist oder die Cranberries in Berlin supportet hast?
K: Oh, sehr gut. Ich bekomme täglich um die 50 E-Mails, die ich auch alle selbst beantworte. Ich erhalte viele positive Reaktionen, viel Enthusiasmus, Interesse und Hilfe. Das ist sehr schön für mich. Die Leute glauben an mich, an meine Poesie, an die Landschaften, die ich erschaffe, sie sind sehr warm und dankbar. Ich hatte schon recht, als ich gesagt habe, Europa hätte diese antiken Geister, diese Ruhe.
MUM: Du hast auch keine Pläne, in die Staaten zurück zu kehren?
K: Ich mache dort Urlaub, aber ich lebe jetzt in Amsterdam. Offiziell zwar noch nicht, weil ich noch bei meinem Manager wohne, aber ich bin gerade dabei, mir eine Wohnung dort zu suchen. Dann habe ich meine Privatsphäre, mein eigenes Labor, um darin zu arbeiten.
MUM: Deine Familie willst du dann auch irgendwann dort gründen?
K: Ich hatte eine schwedische Freundin, für die ich weggezogen wäre, also kann es schon sein, dass ich irgendwohin gehe, wo meine Freundin studiert oder lebt.
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MUM: Mucke und mehr
K: Keith Caputo