Nach wie vor ist KMFDM einer der Namen, die man kennt, wenn man sich für Industrial oder für Independent-Musik aus deutscher Hand interessiert. Kopf von “Kein Mehrheit für die Mitleid”, so der unsinnige Name im Ganzen, ist der Hamburger Sascha Konietzko, der die Band 1984 in Paris zusammen mit dem Maler und Multimedia-Performer Udo Sturm gründete. Bei einem anderen Projekt, “Missing Foundations”, lernt Sascha En Esch kennen, und mit ihm und dem Engländer Raymond “Pig” Watts legten KMFDM legte die Band dann richtig los. “Opium” hieß eine erste Cassette, mit der die Band von sich hören ließ, bevor mit “What Do You Know, Deutschland?” im Dezember 1986 ein erstes Album veröffentlicht wurde. Der Nachfolger “Kickin’ Ass” (1987) wurde an Skysaw Records in Liverpool lizensiert, und das darauf folgende Werk “Don’t Blow Your Top” (1988) erschien dann bereits auch in den USA über Wax Trax!. 1989 folgte mit “UAIOE” die nächste Scheibe, bevor KMFDM später im Jahr erstmals nach Amerika flogen, um als Support für Ministry mit auf Tour zu gehen. In Europa wurde 1990 das Album “Naive” aufgenommen, bevor Sascha zurück nach Chicago ging, um die Geschäfte mit Wax Trax! zu festigen – die USA sollten ab 1991 seine neue Heimat werden, nach Deutschland kehrte er nur zu Plattenaufnahmen zurück, wie bei “Money” (1992). Nun entschied sich auch En Esch, in Amerika zu bleiben.
Dem Label Wax Trax! ging es unterdessen alles andere als gut: Gründer James Nash erlitt einen Herzinfarkt und die Banken rückten der Firma auf die Pelle. Nur zwei Bands hielten die Treue, KMFDM und Sister Machine Gun – trotzdem schluckte TVT das Label. 1993 nahmen KMFDM “Angst” in Chicago (nun also doch in Amerika) auf, kurz danach zog Sascha nach Seattle, En Esch hingegen nach New Orleans. 1994 (man merkt, wirkliche Pausen gab es bei KMFDM nicht) nahmen die Jungs das Album “Nihil” auf, und Sascha kehrte noch einmal nach Chicago zurück, um Jim Nash bis zu seinem Tod im Oktober 1995 näher zu sein. “Xtort” hieß die nächste Scheibe 1996, die in Chicago von Sascha und Günther Schulz – seit einiger Zeit dabei – mit einigen Gästen gefertigt wurde, bevor es Sascha wieder nach Seattle zog. Die Zusammenarbeit hatte sich inzwischen natürlich verändert. Soundfiles wurden per E-Mail oder Post ausgetauscht, und nur zum Studiogang kam man wieder zusammen. “!@#$%” erschien im September 1997, bevor die Band mit “Adios” 1999 selbiges sagte, es war erst einmal Schluss. MDFMK hieß das neue Projekt von Sascha Konietzko zusammen mit Tim Skold, ein gleichnamiges Album erschien 1999 bei Universal. Nach einer US-Tour spielten die Jungs erstmals auch in Japan auf dem Fuji-Rock-Festival, im Sommer 2000. En Esch und Günther hatten mittlerweile mit Slick Idiot ein eigenes Projekt am Start und kein Interesse mehr an KMFDM.
Zusammen mit Tim, Raymond, Lucia Farelli, Dorona Alberti, Bill Rieflin und einigen Gästen ist Sascha nun aber wieder als KMFDM zurück, und “Attak” heißt das neue Album, welches Industrial zu bieten hat, wie man ihn von KMFDM kennt. Wir sprachen mit Sascha ein Dreiviertelstündchen am Telefon.
“In dem Moment, wo ich die Sachen erarbeite, sind sie nicht politisch. Dann, wenn die Platte heraus kommt, werden sie komischerweise oft politisch.”
MUM: Warum heißt das Album “Attak”?
S: Warum nicht? (lacht) “Attak” heißt einfach, dass KMFDM wieder da sind, fertig zum Angriff.
MUM: Warum wieder da? Hattet ihr Lust, mal wieder was unter dem Namen zu machen?
S: Das war mehr so auf öffentlichen Druck hin. Die Leute haben sich oft beschwert, dass KMFDM nicht mehr da sind, und da haben wir gesagt, dass jetzt, wo MDFMK auch nicht mehr da sind, wir einfach wieder als KMFDM weiter machen.
MUM: Warum habt ihr 1999 überhaupt aufgehört?
S: Weil es unüberbrückbare Schwierigkeiten innerhalb der Band gab. Wie man sich vorstellen kann, haben sich in den über 15 Jahren mit En Esch und zehn Jahren mit Günther viele Sachen aufgestaut. Ich habe immer gehofft, dass mal jemand das Maul aufmacht. Ich war ja immer die Triebmaschine für das Ganze, habe aber auch gemerkt, dass da was am Brodeln war, aber es kam nie zu einer Erklärung. Auf der “Adios”-Platte haben sich die beiden schon sehr rar gemacht, und dann war einfach klar, dass – wenn nicht eine gravierende Änderung eintritt – es mit KMFDM nicht mehr machbar ist. Das lang erhoffte klare Wort wurde erst gesprochen, als ich die beiden wieder ansprach, ob sie nicht doch noch Lust auf KMFDM haben, nochmal zusammen loszulegen, und da meinten sie dann so: “Nein, mit dir wollen wir nicht mehr arbeiten.”
MUM: Dann hast du wahrscheinlich auch keinen Kontakt mehr zu ihnen.
S: Habe ich nicht, das stimmt. Es gab da noch so ganz merkwürdige Sachen, wo von denen ausgehend eine kleine Hetzkampagne im Netz stand, aber sowas gehört anscheinend dazu, da darf man sich nicht drüber aufregen.
MUM: Was haben sie denn gegen dich?
S: Musst du die beiden mal fragen bei Gelegenheit, mir ist das auch nicht so ganz klar. Ich hab denen jahrelang ihren Lebensunterhalt verschafft, für wenig Arbeit viel Geld gezahlt, und irgendwie hatten sie keinen Bock mehr drauf. Ist auch okay, ich meine, mir ist eine Last von der Seele, und denen wahrscheinlich auch.
MUM: Du hattest aber alle Rechte am Namen und so.
S: Das war kein Problem. Das Recht am Namen habe ich mir schon gesichert, als noch keiner bereit war, mit mir Plattenverträge zu unterschreiben, als mir klar war, dass ich die Verantwortung alleine tragen muss.
MUM: Warum hast du dann als MDFMK und nicht als KMFDM weiter gemacht?
S: Zu der Zeit gab es keine Klarheit, und es war besser, erstmal etwas Wasser den Fluss hinunter gehen zu lassen, jedem Zeit und Abstand zu gewähren, um zu sehen, was eigentlich Sache ist, wo die Prioritäten liegen. Ich glaube, das war der richtige Schritt.
MUM: Wenn deine Fans noch da sind, dann hattest du ja anscheinend die Zeit.
S: Ja, es lässt sich beinahe schon beängstigend gut an mit der neuen Platte.
MUM: Wie ist es mit dem Release, in Deutschland kommt die Platte im Februar, und in den USA? Ist sie da schon draußen?
S: Nee, die Single kommt in Deutschland und Amerika am 5. Februar, das Album am 19. März, das müsste in beiden Territorien gleich sein.
MUM: Was kommt als Single raus?
S: Die Single heißt “Boots” und hat vier Stücke, die nicht auf dem Album sind, und zwar eine Coverversion von Nancy Sinatras “These Boots Are Made For Walking”, zwei Remixe davon, und ein Stück, das heißt “Stuck In The U.S.S.A.”.
MUM: Wie bist du darauf gekommen, eine Single heraus zu bringen, die gar nicht auf dem Album ist?
S: Du kannst das eine Single, aber auch eine E.P. nennen. Das ist keine Auskopplung, sondern eine eigene Sache. Wie kam ich darauf? Wir hatten zu viele Stücke für das Album, da kann man elf Songs unterbringen, aber wir hatten eben mehr. Als verbraucherfreundliches Projekt haben wir uns gesagt, dass wir für den kleinen Preis erst einmal vier Stücke vorab veröffentlichen, und wenn man dann noch Lust hat, legt man etwas drauf und bekommt noch einmal elf Stücke dazu.
MUM: Wie bist du darauf gekommen, Nancy Sinatra zu covern?
S: Coverversionen und KMFDM, das ist ja so eine eigene Geschichte, wir haben ja nicht viele gemacht. Wir haben mal “Crazy Horses” von des Osmonds gecovert, 1990, dann 1993 die “Mysterious Ways” als U2-Cover, dann haben wir 1997 “Mission Impossible” gemacht, das ist aber nie veröffentlicht worden. Diese Nancy Sinatra-Idee schwebte schon länger herum, und diesmal sind wir halt dazu gekommen, sie zu verwirklichen.
MUM: Wenn du sagst, “Mission Impossible” wurde nie veröffentlicht – wird es dabei bleiben, oder kommt das irgendwann noch?
S: Irgendwann kommt das noch raus. Ich meine, das ist so kurz, das ursprüngliche Ding ist nur eineinhalb Minuten, unsere Version ist zweieinhalb Minuten. Wir hatten das mal als Filmmusik gemacht, es ist aber nie dazu gekommen, und jetzt liegt das einfach so rum. Wir haben noch ein paar andere Sachen in der Art, irgendwann werden die alle nochmal das Tageslicht sehen.
MUM: Hast du denn “Boots” selbst geremixt, oder hast du es remixen lassen?
S: Von “Boots” habe ich einen Remix gemacht, und einen hat Paul DeCarli gemacht hat. Der Paul DeCarli-Mix ist mehr so in der Tradition von Armand van Helden, dancloormäßig, und mein Mix ist mehr so Sache Konietzko.
MUM: Klar. (Beide lachen) Wie ist es denn so mit Japan? Du warst in den letzten Jahren oft dort unterwegs. hast du eine besondere Beziehung zu dem Land aufgebaut?
S: Ich glaube, eine Beziehung zu Japan aufzubauen ist sehr schwierig für jemanden, der nicht Japaner ist, sich in der Kultur nicht richtig auskennt, nicht die Sprache spricht. Das ist ein sehr fremdes Land. Ich muss sagen, ich habe mich nie so einsam gefühlt wie in Tokio.
MUM: Auch als Musiker, oder nur als Mensch?
S: Nee, als Mensch. Tagsüber im Studio oder so war alles okay, aber abends alleine in Tokio unterwegs zu sein, das ist ganz schön fremd.
MUM: Wie sind die Japaner so als Publikum?
S: Total klasse. Die können ausrasten, da bleibt kein Auge trocken. Das war richtig gut, live geht das voll ab.
MUM: Fühlst du dich eigentlich als Amerikaner inzwischen?
S: Nee (macht eine kurze Pause). Nee, ich fühle mich nicht als Amerikaner. Ich stelle in der letzten Zeit immer wieder fest, dass ich mich eigentlich gar nicht mehr als irgendwas fühle. Wenn ich nach Deutschland komme, dann komme ich mir dort fremd vor, und wenn ich hier bin, dann kommt es mir immer so vor, als würde ich mich nie so ganz hier assimilieren können.
MUM: Liegt das am System?
S: Nein, ich glaube, das ist einfach das Schicksal von Emigranten, jederzeit in jeder Gesellschaft, überall. Als Emigrant bist du immer außen vor. Du bist der Erste, der argwöhnisch betrachtet wird, wenn jemand Fremdes den Leuten etwas angetan hat, dann bist du sofort Ausländer. Wenn es darum geht, Steuern zu zahlen, dann bist du sofort Ami. Die volle Akzeptanz kriegt man glaube ich nur, wenn man die Staatsbürgerschaft annimmt. Dazu gehört, den Fahnenschwur zu leisten, und dazu bin ich nicht bereit, weil ich keinem Land die Treue schwören kann, in dem die Vermischung von Religion und Politik derartig fortschreitet, wie in diesem Land.
MUM: Spätestens seit dem 11. September ist es in Amerika ja nun sowieso sehr extrem mit dem Patriotismus, da trägt jeder die Fahne außen vor. Hat sich für dich etwas verändert?
S: So sehr ich mich als Amerikaner fühlen kann, so sehr habe ich es getan zu der Zeit. Aber doch nie so ganz. Irgendwie wird es dir auch immer klar gemacht, dass du nicht dazu gehörst, du bekommst argwöhnische Blicke nach dem Motto: “Na, ob dessen Tränen auch echt sind?”. Dir wird immer unterstellt, dass du auch ein feindlicher Spion sein könntest.
MUM: Verarbeitest du auch politische Themen in deinen Texten?
S: In dem Moment, wo ich die Sachen erarbeite, sind sie nicht politisch. Dann, wenn die Platte heraus kommt, werden sie komischerweise oft politisch. Ob es nun die prophetische Nummer ist oder eine Sache, die sich durch die Tagesentwicklung aktualisiert hat, irgendwie passiert immer was, das dann einen politischen Anspruch scheinbar hervor bringt, der im Vorgang des Machens aber nicht enthalten ist. Ich denke da zum Beispiel jetzt an das erste Stück “Attak/Reload”. Die eine Zeile, die zum Schluss auch oft wiederholt wird, ist “Bomb the one, the one that slipped away”, und klar, mittlerweile ist es Osama bin Laden. Wenn man aber bedenkt, dass der Text von Lucia im November 1999 geschrieben wurde, dann kriegt alles einen neuen Sachverhalt.
MUM: Hast du eigentlich meistens die Musik zuerst oder den Text?
S: Zuerst kommt eigentlich immer die Musik. Ein Song hat vier Phasen. Am Anfang stehen Drums und Bass, dann kommt die Gitarrenarbeit, dann die Stimmen, und dann die Abmischung.
MUM: Der Text ist dir aber schon wichtig, oder willst du dann teilweise nur was raufsingen?
S: Dadurch, dass wir mehrere Texter und Vokalisten sind, kann man das nicht so verallgemeinern. meine Texte kommen natürlich aus einen anderen Background als die von Lucia, Raymond oder Tim. Lucias Sachen sind äußerst intuitiv, so wie ich sie kenne, das ist aus dem Bauch kommend. Wenn ich ihre Sachen lese, dann sehe ich da auch politische Absichten, die sie aber gar nicht erwogen hat in dem Moment. Das Innerste eines Menschen kommt beim Texteschreiben heraus, es sei denn, jemand schreibt Texte auf Kommando, wie “I want to love you, love me, too” (lacht).
MUM: Bei Lucia hast du ja auch am Soloalbum mitgearbeitet.
S: Ja, in der Phase zwischen MDFMK und KMFDM waren wir beide in New York und haben dort gearbeitet, weil wir einfach nichts anderes zu tun hatten. Ein Teil der Resultate sind in das Schwein-Projekt eingeflossen, ein Teil ist in ihre Platte gegangen, und ein Teil ist auf KMFDM gelandet.
MUM: Habt ihr da also erst gearbeitet und dann die Sachen verteilt, wo sie besser hin passen?
S: Ja, so war das in dem Fall. Wir hatten einfach Zeit und wollten sie nutzen. Lucia und ich, wir können sehr gut zusammen arbeiten, wir sind ein gutes Team. Jedenfalls haben wir sehr viel Material erstellt in der Zeit. Dann fing das Schwein-Projekt an, und dann haben wir gesagt, wir hätten schon ein paar Vorschläge dafür. Dann haben wir die etwas härteren Nummern zu KMFDM rüber gezogen, und die hübschen, schönen kleinen Stücke sind in das Lucia-Projekt eingeflossen.
MUM: Hast du sonst irgend welche Projekte, an denen du gerade arbeitest?
S: Im Moment arbeite ich eigentlich nur an der Rehabilitation von den alten “Opium”-Mastertapes, die jetzt fast abgeschlossen ist. “Opium” wird wahrscheinlich im April/Mai heraus kommen.
MUM: Das ist ja dann fix hintereinander.
S: Ja, wobei “Opium” ja eigentlich nur ein Re-Release ist, wenn auch nicht so richtig. Das wird dann bei FWD, First World Records, erstmal nur internetmäßig heraus kommen, die kann man dann also bestellen oder gegen Gebühr herunter laden, oder so.
MUM: Wie ist denn generell dein Verhältnis zu Netz und Musik?
S: Ich bin jeden Tag in Ebay zugange und schalte fünf bis acht Auktionen von KMFDM-Sachen ab. Die Leute kriegen Promo-Kopien und haben nichts Besseres zu tun, als die Sachen sofort bei Ebay anzubieten für 40 Dollar oder mehr. Der Mangel an Respekt ärgert mich sehr, das ist einfach billig. Ich bin eingetragenes Mitglied und kann denen die Auktion innerhalb von zehn Minuten abschalten. Als einer mal so fließbandmäßig CDR-Kopien verhökert hat, habe ich ihn auch rechtlich belangt.
MUM: Das ist doch aber ein Kampf gegen Windmühlen, oder?
S: Auf jeden Fall, aber ein temporärer Kampf gegen Windmühlen. Der Aufschwung des Internets über die vergangenen Jahre und das damit verbundene Gefühl, dass alles kostenlos zu haben ist, hat sich breit gemacht. Das ist aber vor allem die Generation von 14-16jährigen, und die kriegen das auch eines Tages noch mit.
MUM: Es gibt aber eben auch Sachen wie Morpheus, wo du die Leute nicht kriegst.
S: Ja, klar, aber alles ist ja auch nur eine Zeitfrage. Wenn eine Platte erschienen ist, dann muss jemand den Preis auf Auktionen auch niedrig ansetzen, aber vor der Veröffentlichung in den paar Wochen bietet sich die Möglichkeit, abzuzocken, und da stelle ich mich dem entgegen.
MUM: Und selbst mal hier und da einen MP3-Song auf deine Webseite setzen, wie sieht es damit aus?
S: Ist momentan nicht angesagt, weil kein Bedarf besteht, es kommt ja eh neues Material. Außerdem habe ich nur einen kleinen Server hier, mit dem ich aber voll zufrieden bin, den kann ich aber nicht noch mehr belasten, da ist schon derartig viel Verkehr auf meiner Webseite.
MUM: Auf die Site habe ich vorhin gerade mal geschaut. Pflegst du die selber?
S: Ja, das mache ich.
MUM: Suchst du den Kontakt zu Fans? Wie ist es, wenn die Leute schreiben?
S: Momentan mache ich natürlich viele Interviews, auch per E-Mail. Aber im Grunde kann man davon ausgehen, dass ich auch antworte, wenn man mir mailt.
MUM: Du bist jetzt auf Metropolis Records, “Opium” bringst du im Netz raus. Wie weit hängt Wax Trax noch in deinem Herzen?
S: Ja, Wax Trax existiert ja nicht mehr. Der Besitzer Jim ist 1995 gestorben, und sein Kollege Dannie ist mittlerweile über alle Berge. TVT hat damals den Katalog übernommen mit allen Rechten und Verpflichtungen aus den Verträgen, bis 2008 läuft das. Ich habe also immer wieder mal etwas Kontakt und einen Blick drauf, was die machen, würde mir aber wünschen, alle Rechte wieder in meiner Hand zu haben.
MUM: Wie nah ist dir damals Jims Tod gegangen, du bist ja extra noch einmal nach Chicago zurück?
S: Ja, der ist mir schon nah gegangen. Ich glaube, jeder hat im Leben einen Menschen, der ihm eine Chance gibt oder die Türen öffnet, und für mich war das Jim Nash, der das Potential gesehen hat und uns so richtig auf eigene Kosten unter die Arme gegriffen hat.
MUM: Siehst du KMFDM eigentlich als Band oder als dein Projekt, bei dem du mit verschiedenen Musikern zusammen arbeitest?
S: Das ist etwas zweischneidig. Die Leute, mit denen ich arbeite, sind immer gerne dabei, und die Arbeitsbedingungen sind auch immer gut. Wenn es aber darum geht, jemanden zu finden, der mit mir die Verantwortung teilt, dann sieht das immer sehr dunkel aus. Daran orientiert sich dann auch mein jeweiliges Verständnis von KMFDM. Wenn ich in einer Phase bin, in der ich händeringend um Assistenz bitten muss, und sich keiner findet, dann denke ich auch: Scheiße irgendwie, was ist das denn jetzt. Wenn wir aber in der Mitte von der Mucke sind, dann ist es immer sehr nett und demokratisch, dann ist das Gruppenverständnis da.
MUM: Du bist damals schon wegen der Musik nach Chicago gegangen, oder?
S: Ich bin gar nicht so viel gegangen, mehr hängen geblieben. Nach der Tour mit Ministry 1990 stellten wir fest, dass schon viele Verkäufe über Wax Trax getätigt wurden damals, und dann mussten wir auch mal unsere Tantiemen einkassieren, Merchandising auf die Beine stellen und so. Ich bin dann einfach da geblieben, weil ich es mir auch aus privaten Gründen erlauben konnte, nicht wieder nach Deutschland zurück zu gehen.
MUM: Hast du noch Familie in Deutschland?
S: Ja, in Hamburg.
MUM: Und du kommst auch ab und an noch vorbei.
S: Ich war im Jahr 2001 ein paar Mal da. Mein Stiefvater ist auch gestorben, dann habe ich mich Weihnachten noch um meine Familie gekümmert. In zwei, drei Wochen bin ich in England, dann mache ich auch noch einen kurzen Abstecher nach Hamburg.
MUM: Hast du da drüben eigentlich Familie?
S: Nein, habe ich nicht. Ich war ein paar Jahre lang verheiratet, bin aber mittlerweile wieder geschieden.
MUM: Was ist an Tour für Deutschland geplant?
S: Im Moment sind wir dabei, Festivals für den Sommer klar zu machen. Wir werden dann bei der Gelegenheit auch noch den einen oder anderen Gig alleine spielen.
MUM: Stehen schon Festivals fest?
S: Nein, noch nicht, aber wir verhandeln mit dem Wave Gotik Treffen, die wollen uns unbedingt haben, und so ein Festival in Oslo, und verschiedene andere. Ich bin da nicht so auf dem Laufenden, das macht mein europäischer Agent.
MUM: Was war der größte persönliche Erfolg für dich in deiner Karriere?
S: (Überlegt lange) Schwer zu sagen. Einer der glorreichen Momente war diese Liveshow in Japan auf dem Fuji-Rock-Festival. Das war irgendwie zehn Jahre überfällig, mal in Japan zu spielen, und das war dann auch richtig geil. Ansonsten bin ich von der Persönlichkeitsstruktur her jemand, der nie zufrieden ist, der sich nie ausruht und abschaltet. Ich kann nicht in Ferien fahren. Wenn ich am Strand sitze, werde ich wahnsinnig. Am liebsten bin ich hier mit mehreren Computern und Maschinen in Griffweite.
MUM: Wann fühlst du dich denn glücklich?
S: Glücklich fühle ich mich spät abends, wenn ich das Gefühl habe, ich habe was Gutes geschafft, und ich kann es mir erlauben, ein paar Stunden zu schlafen (lacht!). Ist wahr!
MUM: Das heißt also, die Musik macht dich glücklich, und ohne Musik wüsstest du nicht, was du machen sollst.
S: Stimmt, das wüsste ich nicht.
MUM: Wie viele Remix-Anfragen bekommst du so?
S: Das kommt immer darauf an, wie sehr man raus ruft. Wenn ich meinem Agenten sagen würde, er soll man den Rundschrieb raus schicken, dann habe ich morgen oder übermorgen wieder ein paar Jobs. Momentan aber könnte ich nichts annehmen, da ich viel Promotion machen muss.
MUM: Du hast vorhin gesagt, die Platte würde gut einschlagen. Sind das Reaktionen aus Clubs, von der Presse, oder von wem?
S: Ich habe da verschiedene Leute, mit denen ich arbeite. Da ist mein Quasi-Manager in San Diego, Charly, und dann Maria in New York, und die Jungs in Hamburg, Public Propaganda. Dann haben wir noch zwei Street Teams, die Straßenpromotion machen, und eine Radio-Promotion-Agentur. Von allen kommen täglich Berichte, und der Querschnitt sagt mir, dass sich die Platte auf breitester Basis anlässt und vergleichbar mit allen bisherigen Veröffentlichungen gute Startbedingungen findet. In Houston würde man sagen: Das Wetter ist gut für Raketenstart.
MUM: Brauchst du denn so einen Raketenstart?
S: Wär doch irgendwie geil. Wir haben so lange gearbeitet und uns fokussiert auf dieses Ding, dann wäre es doch toll, wenn das mal richtig abgehen würde. Ich möchte nie so Mainstream-Erfolg haben, dass MTV sich darum kloppen würde, uns live vor der Kamera zu haben, aber wenn man es schaffen würde, eine weltweit erhältliche Veröffentlichung zu haben, dann wäre das schon was. Bisher hatten die Fans oft Schwierigkeiten, eine Platte zu finden, weil das Label zu faul war oder der Vertrieb. Wenn eine gewisse Resonanz im Vorfeld da ist, geben sich natürlich alle Beteiligten viel mehr Mühe, und das würde ich natürlich sehr begrüßen.
MUM: Es wäre für dich ja sicher auch eine Genugtuung gegenüber den Jungs, die mit dir nichts mehr zu tun haben wollten.
S: Hahaaaa, da hast du den Nagel voll auf den Kopf getroffen, hahaha. Ich sehe schon, dass wir uns verstehen.
MUM: Interessierst du dich für Sport?
S: Nein, überhaupt nicht. Sport ist der Anfang von Krieg.
MUM: Hmm, sagst du.
S: Nein, hat meine Großmutter immer gesagt. Organisierten Sport mag ich überhaupt nicht. Ich fahre gerne Ski oder segele, ich nenne es Passivsport, auch wenn das gar nicht so passiv ist.
MUM: Das klingt dann aber doch nach Urlaub.
S: Das sind so Eintagestripps. Wenn ich hier aus dem Fenster schaue, dann sehe ich die Berge. Wenn ich jetzt in den Keller rennen würde und mir meine Skier und Skischuhe schnappen würde, ich könnte in 45 Minuten auf der Piste sein.
MUM: Warum bist du eigentlich nach Seattle gezogen?
S: Nach Jims Ableben 1995 war meine Arbeit in Chicago irgendwie getan. Die Stadt ist geografisch so gelegen, dass sie ein unheimlich feindliches Klima hat, das Wetter ist das ganze Jahr dein Feind. Im Sommer ist es tierisch heiß, im Winter arschkalt. Als Hamburger bin ich an so extreme klimatische Umstellungen nicht gewöhnt, und nach 28 Jahren in einer Klimazone gingen mir Wüstenwetter und Eiszeit irgendwie aufs Gemüt. Seattle ist schön, so ähnlich wie Hamburg, sowohl klimatisch als auch optisch. Außerdem hat es den Anreiz, dass es am Pazifik ist und es riesenhohe Berge hier hat, mit einem Vulkan von über 5000 Metern Höhe. Vor allem aber ist es hier ein bisschen unamerikanisch, das gefällt mir. Am meisten hasse ich als Städte hier an der Westküste San Francisco und Los Angeles – was Leute an so einer Szene gut finden, das verstehe ich nicht. Seattle ist laid back, europäisch, hat viele kleine Clubs und Coffee Shops, wo man locker sein kann.
MUM: Wie ist denn die Szene für Industrial da drüben? Ist sie so groß, wie sie durch Nine Inch Nails scheint?
S: Ja, die ist schon groß. Du kannst locker Leute auf der Straße rauspicken, wo du weißt, die würden zu einem KMFDM-Konzert gehen, da hast du selbst in normalem Alltags-Stadtbild keine Schwierigkeiten. Es gibt einfach mehr Leute, größere Städte, mehr Kommerz.
MUM: Wie bekannt ist KMFDM drüben?
S: Sehr bekannt, so untergrundmäßig. Man guckt im Internet rum und findet die merkwürdigsten Links zu Porno-Seiten, wo Leute nackt rumlaufen, und im Hintergrund hängen KMFDM-Poster an der Wand.
MUM: Was dich natürlich stolz macht. (lacht)
S: Ja, ich habe mittlerweile eine kleine Kollektion von solchen Bildern, wo man sich schon sagt, dass das ja irgendwie in komische Kreise durchsickert.
MUM: Planst du drüben eine Tour?
S: Wir sind dabei, zu eroieren, ob man für den Herbst eine Tour zusammenstellen kann, mit Front 242, Laibach, den Young Gods zusammen. Das wäre für uns das Wunschpaket, das würde hier auch ein guter Weckruf sein.
MUM: Wie ist es generell, du hast ja schon mit vielen Bands zusammen gespielt, mit Korn, Rammstein und so. Gibt es denn irgend ein Erlebnis, das erzählenswert ist?
S: Korn haben für uns damals Vorprogramm gemacht, da waren die noch gar nicht bekannt. Uns haben die nur tierisch genervt jeden Abend, weil die total bedröhnt waren, immer auf Junk, das war nicht so doll.
MUM: was hörst du denn privat so für Musik? Jetzt sag bitte nicht, du hörst keine andere Musik.
S: Ich muss ehrlich gestehen, dass ich nicht viel höre, weil ich jeden Tag 16 oder mehr Stunden vor KMFDM-Sachen sitze. was ich gerne höre, und da habe ich auch eine riesige Sammlung, sind CDs oder Cassetten von Leuten, die sie mir zuschicken, mit ihrer Musik. Die schreiben mir eine E-Mail nach dem Motto: “Wir haben auch eine Band. Wir haben zwar keine Ahnung, was wir machen, aber wir sind tierische KMFDM-Fans. Willst du dir das mal anhören?”. Da kriege ich echt die genialsten Sachen zugeschickt.
MUM: Sind da auch Sachen bei, wo du am liebsten was mit den Leuten machen würdest?
S: Gelegentlich machen wir auch mal was, ja.
MUM: Hast du überhaupt noch Beziehungen zu deutschen Bands?
S: Wenig, sehr wenig.
MUM: Als ihr mit Rammstein gespielt habt, waren die da schon bekannt?
S: Ja, sehr bekannt, das waren alles große Hallen. Die waren sehr sympathisch, eine ganz andere Art von Deutschen irgendwie. Für mich waren das die ersten ehemaligen Ostdeutschen, mit denen ich Kontakt hatte, und die waren total aufgeschlossen, das hat mir gut gefallen. Mit Richard habe ich mich in New York auch ein paar Mal getroffen und was Privates gemacht.
MUM: Gibt es eine Location, wo du gerne mal spielen würdest?
S: Roskilde würde ich gerne spielen. Die haben uns ein paar Mal eingeladen, da konnten wir immer nicht, und jetzt haben die wahrscheinlich keinen Bock mehr auf uns.
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MUM: Mick für Mucke und mehr
S: Sascha Konietzko, Mr. KMFDM