lang schon haben wir’s gewußt – lang schon haben wir’s erwähnt – und das jüngste gericht – lang schon haben wir’s ersehnt – also reiht euch ein – in das letzte geleit – denn ihr wißt doch genau – es ist längst an der zeit – unsere rettung ist nah!
Endlich ist es soweit. Mit dem Majorlabel Virgin im Rücken und der neuen CD “Unrein” im Gepäck blasen Dero (Gesang, Texte und Drums), Flux (Gitarre und Sampling) und Crap (Gitarre und Keyboard) alias Oomph! zum Angriff, um die schon lange verdienten Lorbeeren als einer der besten deutschen Metal- bzw. Crossoveracts in Empfang zu nehmen.
1991 erschienen die drei Wolfsburger erstmals in der Musikszene, mit dem rein elektronischen EBM-Album “Oomph!”, das beim ehemaligen Trendlabel Machinery (es ruhe in Frieden) das Licht der CD-Regale erblickte und gut angenommen wurde, von Kritikern und Fans gleichermaßen. Bereits mit dem zweiten Album “Sperm” vollzogen die Jungs den gewagten Stilwechsel hin zum Metal-Elektronik-Crossover, der sicher einige Fans schockte, andere begeisterte. Eines wurde damals klar: Oomph! scheuen sich nicht vor Weiterentwicklungen, ganz egal, ob sie Erfolge garantieren oder nicht, Oomph! gehen ihren eigenen Weg, ohne sich anzupassen. Sicher hatten schon einige andere Acts wie Die Krupps einen Schritt gemacht, der musikalisch ähnlich schien, jedoch kopierten die drei Wolfsburger in keiner Weise die Strukturen oder den Klang solcher Bands, im Gegenteil, sie etablierten ihren eigenen Sound, den sie auf “Defekt” und “Wunschkind” weiterentwickelten, auch wenn nun keine großen Stilsprünge mehr zu finden waren, aber warum auch, hatten sie doch die am besten zu ihnen passende Art der Musik gefunden.
Was aber macht Oomph! aus? Um es profan zu sagen: die Mischung stimmt. Harte Gitarrenriffs, ausgefeilte Elektronik und treibende Beats bilden die Grundlage, Dero lebt seine interessanten Texte dazu in perfekter Form aus, mal schreiend aggressiv, mal besonnen ruhig. Sehr gute Produktion und einzigartige Kompositionen komplettieren zusammen mit energetischen Liveshows das Erfolgsrezept.
Kleine Erfolge konnten dann in jeder Schaffensphase auch schon gefeiert werden. Doch während musikalisch lange nicht so ausgereifte Crossover-Bands wie Rammstein mit Major-Labels im Rücken bereits die Massen begeisterten, blieben Oomph! eher ein Insidertip, von Kritikern gelobt, von Fans geliebt, von vielen aber übersehen. Über den Wechsel zu Virgin, das am 2. März erscheinende Album “Unrein”, die den Geschmack anregende, am 26. Januar vorab ins Rennen geschickte Maxi-CD “Gekreuzigt” und den Werdegang von Oomph! sprach ich mit Dero.
Im Rahmen der Promotion zum Album zogen Oomph! Mitte Dezember eine Woche lang quer durch das Land, um sich an ungewöhnlichen Orten, die “im entferntesten etwas mit ‘Unrein’ zu tun haben”, den Fragen der Journalisten zu stellen. So kam man in Berlin in einem Geldtransporter zum Plaudern, in Hamburg in einem Stundenhotel, in München in einer orientalischen Kirche und in Köln in einem Waschsalon.
komm nicht näher! – unrein – unrein – werd’ dich berühren, benetzen – mit alptraum durchsetzen – bis du unterkühlst – werd’ dich beschmutzen, beflecken – mit unheil anstecken – bis du nichts mehr fühlst – faß mich nicht an!
Zuerst klärten wir die Labelfrage. Gestartet bei Machinery, nach Gitarrenzusatz umgelagert zu Dynamica (beide gehör(t)en zu Modern Music), emporgestiegen zu Virgin – und warum? “Virgin interessierte sich schon 1995 zur ‘Defekt’-Tour für uns und wollte uns schon damals signen, aber leider entließ uns Modern Music nicht aus unserem Vertrag, obwohl man uns aus unserem Deal herauskaufen wollte. Sie wären wahrscheinlich viel besser davongekommen, wenn sie sich darauf eingelassen hätten, aber bei Modern Music liebte man schon immer kleine Spielchen auf Sandkastenniveau.” Am Ende der ‘Wunschkind’-Tour waren es dann – Traum einer jeden Band – nicht weniger als acht deutsche Major-Labels, die den endlich rechtlich wieder freien Wolfsburgern einen Vertrag anboten. “Uns war allerdings klar, daß sich viele dieser Labels im Rammstein-Wahn befanden, und da kam ihnen wohl eine Band wie Oomph! gerade recht, die Rammstein laut deren eigener Aussage beeinflußt hat. Wir entschieden uns schließlich für die Firma, die uns aufgrund unserer Eigenständigkeit und autarken Arbeitsweise bereits 1995 signen wollte.” An letzterer müssen Dero (27), Flux (28) und Crap (27) auch nichts ändern. Natürlich haben sie nun viel mehr Geld zur Verfügung, ansonsten aber legt ihnen die Firma, auch ein Grund des Entschlusses für Virgin, keinerlei Beschränkungen auf. Ganz im Gegenteil, man verlangte von Oomph!, auf dieselbe Art und Weise, wie sie es schon immer getan hatten, weiter zu arbeiten. “Selbstverständlich haben wir aufgrund unserer starken Budget-Verbesserung unser bandeigenes Studio aufgerüstet. Außerdem hat sich die Behandlung seitens des neuen Labels stark verbessert. Wir merken schon, daß wir für Virgin ein Schwerpunktthema sind und daß das Label voll hinter uns steht.”
Den Weg der Konzeptalben verlassen Oomph! mit “Unrein” wieder etwas, nachdem sie sich auf den letzten Scheiben mit Sex, kranken Seelen und Kindesmißhandlung auseinandergesetzt hatten. Die vierzehn Tracks der neuen Scheibe kreisen nicht um ein konkretes Thema, sondern reflektieren verschiedene Seiten des Menschen Dero und des Ärgers, der sich in ihm aufgestaut hat. So findet man zwischenmenschliche Beziehungen ebenso verarbeitet wie Auswüchse des Glaubens, den kirchliche Institutionen vermitteln, oder alltägliche Mißstände. Wer oder was ist also unrein? “Natürlich weist der Titel ‘Unrein’, wie auch die meisten meiner Texte, verschiedene Interpretationsebenen auf. Er ist aber zweifelsohne stets mit dem individuellen Moral- und Ethikverständnis eines jeden Menschen verbunden und ohne dieses gar nicht denkbar.” Da auch das CD-Cover eine Verbindung zum Glauben nahelegt frage ich nach Deros Gläubigkeit. “Ich hatte leider das zweifelhafte Vergnügen, auf eine katholische Schule gehen zu müssen. Dort habe ich viel Heuchlerei, Scheinheiligkeit und Aufruf zum Denunziantentum miterlebt, das hat schon sehr geprägt. Auch mußte ich in einer Familie aufwachsen, die vorgab, christlich inspiriert zu sein und dies auch nach außen hin jedem suggerierte, allerdings sah das christliche Leben in den eigenen vier Wänden leider anders aus. Gerade dieses Versagen der sogenannten Vorbilder in der Verbindung mit der Scheinheiligkeit des Christentums hat mich zu dem zerrissenen Individuum gemacht, das ich bin. Wenn ich heute von mir als Gläubigem sprechen soll, dann nur als denjenigen, der an Zwischenmenschlichkeit und Kommunikation glaubt, nicht aber an die Verehrung eines Abstraktums.” Da Dero nicht zum ersten Mal in einem Interview sein familiäres Umfeld und sein Aufwachsen als nicht unbedingt glücklichmachend andeutet frage ich ihn, wie er heute zu seinen Eltern steht. “Ich habe ein recht neutrales Verhältnis zu ihnen, unser Umgang miteinander spielt sich bewußt sehr oberflächlich ab, weil jeder weiß, daß ein Tiefergehen sehr böse enden könnte.”
kratze an der wunde – kratze bis sie feucht wird – kratze bis sie faul wird – bis das blut gerinnt – kratze immer weiter – kratze bis sie eitert – kratze bis sie taub wird – bis der schmerz gewinnt – gib nicht auf! – denn meine wunden heilen nie
Spricht man mit Dero über seine (weiterhin mal englischsprachigen, mal deutschen) Texte, so erkennt man, daß für ihn die Musik weit mehr ist als ein Hobby – eher eine Erfüllung und Therapie, ein Ventil, sein Innerstes nach außen zu kehren, um es dann selbst zu bestaunen. “Ich will mich nach wie vor durch den ehrlichen Umgang mit mir selbst in meinen stets autobiographischen Texten möglichst gut kennenlernen. Ich möchte irgendwann in den Spiegel schauen und sagen können: ja, diesen Menschen kenne ich richtig gut!” Hierbei verarbeitet er Gefühle ebenso wie andere Themen, die ihn erregen. “Natürlich gehen mir auch ökologische und politische Dinge auf den Wecker. Meinen Frust und meine Wut über den Umgang mit Tieren, die angeblich zum reinen Lebensmittelbedarf des Menschen dienen, reflektiere ich im Text zu ‘Bastard’. Ich bin übrigens seit zwölf Jahren Vegetarier. Selbstverständlich sind auch wieder einige sehr persönliche Beziehungsschwierigkeiten dabei, ‘Unrein’ und ‘Willst du mein Leben entern’. Aber auch jedwede religiöse Strömung bekommt ihr Fett weg in ‘Gekreuzigt’ und ‘Unsere Rettung’.” Ich hake noch einmal beim Punkt ‘persönliche Beziehungsschwierigkeiten’ nach und frage, wie es denn mit Dero und der Liebe so steht. “Ich bin seit sechs Jahren in einer festen Beziehung, für die man allerdings ständig hart arbeiten bzw. kämpfen muß.”
deine macht – deine qual – deine pein – wenn ich vor die stehe – dein kalküll – meine last – meine schuld – meine angst – daß ich mich vergehe – kein gefühl – du hast die welt verändert – mit deinem herz aus gold – du hast die welt verändert – hast du das nie gewollt? – ich will gekrezigt sein – auf dir
Das Album ist insgesamt sehr überzeugend geworden. Die Kompositionen sind noch interessanter, bieten viele Tempo- und Strukturbrüche innerhalb der Tracks, werden so niemals langweilig. Jeder einzelne Song ist ein Highlight für sich und unterscheidet sich von all den anderen. Die Elektronik wird noch geschickter integriert, Kraft, Stimmungstransport und Intensität bewegen sich stets um das Maximum. “Ich finde auch, daß das Album sehr gut gelungen ist. Es ist wohl unser abwechslungsreichstes, ausgereiftestes Werk bisher. Mittlerweile habe ich es wahrscheinlich schon 130 mal gehört und es ist noch in keinster Weise langweilig geworden, dafür beinhaltet es wohl auch zu viele Stimmungsschwankungen, von leise, ruhig und melancholisch bis wütend, aggressiv und orkanartig. ‘Unrein’ birgt wohl das größte emotionale Spektrum von Oomph! Wir sind mit den Jahren immer vielschichtiger geworden. Die einzelnen Alben unterscheiden sich sehr voneinander, ohne jedoch einen gewissen Oopmh!-typischen Sound zu vernachlässigen.”
Im Gegensatz zu den vorigen Alben setzen die drei Wolfsburger weniger Sprachsamples aus Filmen ein, um Songs einzuleiten. Diesmal wurden lediglich drei dieser Fetzen eingebaut (zwei aus “Carlito’s Way”, einer aus “God’s Army”). “Wir haben auf der einen Seite nur die Freigaben von vier Samples erlangen können, andererseits fanden wir im nachhinein, daß drei Stück völlig ausgereicht haben.”
In puncto Gesang überrascht die Scheibe, ging Dero doch nie zuvor experimentierfreudiger mit seiner Stimme um. “Das war zwar sehr risikoreich, weil man nie weiß, wie eine derartige stimmliche ‘Berg- und Talbahnfahrt’ ankommen wird, ich selbst bin aber sehr zufrieden mit dem Ergebnis.” Das kann er auch sein, offenbart er doch neben seinen bekannten Stärken – aggressiver Shouter und tief, düster, teilweise bedrohlich wirkender Vokalist – neue Seiten seines Könnens. Vor allem ist hierbei wohl “Foil” zu nennen, ein Track, der schon fast an ruhige Depeche Mode-Songs erinnert, würde er nicht auch eine gewaltige Gitarrenriffwand enthalten, die ihn meiner Ansicht nach dem Status der Ballade enthebt. Hier singt Dero so lieblich, melodisch und zurückhaltend, daß ich ihn fragte, wer denn zu hören sei, im Glauben, er könne es nicht sein. “Jede einzelne Gesangsphase auf ‘Unrein’ ist von mir eingesungen, vom Kirchenchoral bis zu ruhigen, melodiöseren Passagen wie eben bei ‘Foil’ oder ‘Unrein’. Wahrscheinlich bin ich diesbezüglich durch meine mittlerweile zweieinhalbjährige klassische Gesangsausbildung viel mutiger geworden. Mich hat es halt schon immer gereizt, mich auch selbst gesanglich überraschen zu können.” Das dürfte ihm gelungen sein.
peel me – stab like a fencer – until i can feel you again – heal me – spread like a cancer – until i can feel all this pain – burn like a fire – release me – and then let me drown again
Ich frage Dero noch einmal, warum Oomph! nicht auch mal eine richtige Ballade schreiben. Passen sie vielleicht nicht zu ihrem Stil, gefallen ihnen durchgehend ruhige Töne nicht oder kommen einfach immer harte Sequenzen dazu, bis ihnen ein Song gefällt? Textlich sind alle Möglichkeiten offen. “Willst du mein Leben entern” ist ein Schrei nach Liebe, “Gekreuzigt” inhaltlich ein klares Liebeslied, warum also immer eine harte Umsetzung, oder mit brutalen Worten? “Ich finde schon, daß z.B. ‘Foil’ eine waschechte Ballade ist. Auch ‘Unrein’ und ‘My Soubrette’ von der ‘Wunschkind’-Scheibe kann man durchaus als Balladen durchgehen lassen, der Begriff ist ja sehr dehnbar. Ich finde nicht, daß wir nur brutal agieren. Gerade auf ‘Wunschkind’, aber auch auf ‘Unrein’ kann man vermehrt sehr ruhige, melancholische Passagen in unseren Stücken finden. Ich glaube, daß das neue Album diesbezüglich wirklich sehr vielseitig ausgefallen ist.” Ja, das ist es sicherlich, auch wenn ich eine andere Vorstellung von Ballade habe – ruhige Töne findet man einige bei Oomph!.
Als ich Dero nach seinem Favoriten auf dem Album frage und aufzähle, daß mir spontan “Unrein”, “Foil”, “Gekreuzigt”, “Clean”, “Willst du mein Leben entern”, “Anniversary” und “Meine Wunden” am besten gefallen haben, ohne einen klares Highlight unter diesen Highlights der allesamt gelungenen Tracks benennen zu können, freut er sich. “Daß du keinen richtigen Favoriten ausmachen kannst ist für mich persönlich ein großes Lob. Das bedeutet für mich, daß es anscheinend keinen Lückenfüller auf der Scheibe gibt. Auch bei unseren vorherigen Alben haben wir stets penibel darauf geachtet, ob es im Gesamtbild irgendwelche schwachen Songs auf einer LP gibt. War dem so, haben wir immer sofort den Kandidaten gecancelt und er ist dann auch nirgendwo erschienen. Wir haben dann ganz einfach einen neuen Song geschrieben, bis uns dieser absolut gefallen hat, auch wenn sich dadurch ab und an das Abgabedatum unseres Masters verschoben hat. Mein derzeitiger Favorit ist übrigens ‘Unrein’, weil es das wohl größte musikalische Spektrum von Oomph! aufweist und der Text meine zuweilen recht zerrissene Persönlichkeit auf den Punkt bringt. Das ändert sich aber erfahrungsgemäß auch wieder, da du natürlich stimmungsabhängig anders urteilst. Bist du gerade in Tanz- und Partylaune, so wirst du wahrscheinlich ‘Gekreuzigt’ oder ‘Anniversary’ bevorzugen. Geht es dir emotional gerade nicht so gut, werden dir wohl eher ‘Foil’ oder ‘Unrein’ zusagen.”
i can’t believe it happens to me – this is not where i wanted to be – i hope you’ve come to set me free: – it’s a fucking anniversary!
Als Vorbote des Albums erscheint die Maxi-CD “Gekreuzigt”. Warum wurde dieser Track ausgewählt? “Weil er mit seinem recht straighten Groove und der eingängigen Hookline geradezu prädestiniert war für die erste Auskopplung.” Auf der Maxi-CD findet man einen absolut starken Remix von Steve Naghavi, und wüßte man nicht, daß er Mister-And One ist, dann würde der Mix es nahelegen, ist er doch eine perfekte Verschmelzung seines klar herausstechenden Sounds mit Gitarrenriffs und Deros Gesang. Außerdem wurde der Track von Jelly & Fish interessant gemixt und von Haujobb, deren Interpretation mir persönlich am wenigsten zusagt. “Ich finde, daß jeder Remix durchaus seinen Zweck erfüllt. Besonders gefällt mir, daß sich der Song durch die Staffelung von Original-Track über Steves Mix und Jelly & Fish bis hin zu Haujobbs Version immer mehr vom Original verabschiedet und ins Experimentelle abgleitet. Ich hätte nicht gedacht, daß es so aufregend sein könnte, viermal den gleichen Song zu hören. Ich bin mit jedem Mix mehr als zufrieden.”
Da die Mixe recht elektronisch ausgefallen sind will ich wissen, ob dieses durch Oomph!s Verbundenheit und Kontakte aus alten Zeiten bedingt ist, ob die Möglichkeiten guter Mixe in diesem Bereich einfach besser sind oder ob dies vielleicht ein Geschenk an die Fans ist, die Oomph! noch aus alten Zeiten treu geblieben sind trotz des damaligen Stilwechsels. “Da hast du genialerweise in deiner Frage schon alles angeschnitten, was zu diesem Thema wichtig ist, alle Achtung”. Wow, eine solche Antwort hört man als Schreiberling doch gerne. Erhobenen Hauptes setze ich das Gespräch fort und frage Dero, wie er die Entwicklung der elektronischen Musik heute mit etwas Abstand bewertet. “Viele einst sehr vielversprechende elektronische Acts befinden sich leider mittlerweile in der musikalischen Sackgasse, trotzdem gibt es durchaus einige sehr positive, herausragende Künstler dieser Gattung: Björk, The Prodigy, Aphex Twin, Tricky und Haujobb. Wir für unseren Teil haben stets den Anspruch gestellt, uns nie musikalisch selbst zu kopieren, ohne allerdings einen gewissen Oomph!-typischen Touch zu verlieren. Uns war immer am wichtigsten, neue musikalische Türen in uns zu öffnen und wir waren diesbezüglich nie zufrieden mit uns selbst, was meiner Meinung nach ein großer Vorteil gegenüber Bands ist, die von sich behaupten, sie seien das Non-plus-ultra. Bands, die meinen, bereits perfekt zu sein, treten doch auf der Stelle, ohne es selber zu merken, und das kann nach außen hin ziemlich peinlich wirken.”
In einem alten Interview hatten Oomph! geäußert, daß es ein Wunsch wäre, einmal von Prodigy geremixt zu werden. Mit Virgin im Rücken haben sie nun natürlich diesbezüglich viel mehr Möglichkeiten, allerdings mixen so große Acts wie Prodigy inzwischen auch nur noch international erfolgreiche Bands und fordern dafür eine nicht unbedingt niedrige Gage. “Ich hatte vor kurzem das Vergnügen, den Mix von Prodigy zu hören, den sie für Such A Surge angefertigt haben, und muß leider sagen, daß ich es mir mittlerweile überlegen würde, so viel Geld auszugeben, um im Endeffekt ein Prodigy-Stück zu erhalten, das mit dem Original-Track überhaupt nichts mehr zu tun hat. Für mich stand bei solchen Aktionen schon immer der Remix des Ursprungs-Songs als solcher im Vordergrund und nicht das ‘name-dropping’ von irgendwelchen großen Acts. Es gibt mit Sicherheit noch unbeschriebene Blätter, die sich mehr ins Zeug legen, das haben nicht zuletzt auch Jelly & Fish mit ihrem Remix von ‘Gekreuzigt’ bewiesen.”
ich atme hinter deiner maske – den ganzen tag – von dir unentdeckt – ich warte hinter deiner maske – das ganze jahr – von dir ungeweckt
Als nächstes erfahre ich, daß der Videoclip zu “Gekreuzigt” ähnlich angelegt ist wie die Liveshows der Jungs. “Er focusiert auf unsere Gestik, Mimik und unsere Bewegungen, anstatt mit 27 Explosionen pro Minute aufzuwarten. Er wird hauptsächlich durch den Schnitt, das Licht und die Kamerafahrten wirken, und eben durch die Akteure. Wir glauben halt, daß der Song an sich stark genug ist, und wollen nach wie vor nicht durch irgendwelche peinlichen Spezial-Effekte vom Wesentlichen ablenken.”
Hört man da vielleicht einen kleinen Seitenhieb auf Rammstein? Ich spreche Dero auf das Rammstein-Interview im New Life an, in dem deren Gitarrist Paul Landers zugab, daß sie die Musik, die Oomph! vorlegen, auch gerne machen würden, so weit entwickelt seien sie musikalisch bloß nicht. “Wir haben ein ziemlich neutrales bzw. unbelastetes Verhältnis zu Rammstein, da wir nie das Vergnügen hatten, die Band persönlich kennenzulernen, obwohl sie schon desöfteren auf diversen Oomph!-Gigs anzutreffen waren. Zu dem New Life-Zitat kann ich nur sagen, daß es ein faires Lob ist, obwohl ich auch schon andere eher nicht so feine Bemerkungen in diversen Interviews von Rammstein diesbezüglich gelesen habe. Ich kann durchaus mit dem Erfolg von Rammstein leben, da dieser sicher auch für uns als definitive Inspiratoren von ihnen Vorteile mit sich bringt, gerade was die Massenakzeptanz von deutscher, harter Musik anbelangt.”
Mit dem Major hinter sich hoffen Oomph! nun natürlich, endlich den Status als einer der besten deutschen Metalbands zu erreichen, den sie mit einem engagierten Partner schon vor zwei Alben verdient gehabt hätten, und Virgin läßt kaum Zweifel daran, daß sie ihr bestes dafür tun werden. “Wir haben unseren Obolus mit der Ablieferung des Albums ja bereits geleistet, und man ist seitens des Labels auch zum Glück hundertprozentig von dem Produkt überzeugt.” Wie aber sieht das Zielpublikum aus? Sind es eher diejenigen, die wegen der Power und der harten Riffs zum Headbangen und Stagediven kommen oder die, die sich intensiv mit den Texten beschäftigen? “Ich glaube, daß die Leute, die Oomph! mögen, automatisch auch ziemlich offen und tolerant sein müssen, da wir ja mitunter doch recht gewagte Mischungen abliefern, und zumindest uns selbst immer wieder zu überraschen wissen. Grundsätzlich sind uns alle Fans recht, die genügend Interpretationsengagement für meine Texte mitbringen, aber auch nicht davor zurückschrecken, live mal so richtig die Sau raus zu lassen, ohne daß dabei jemand zu Schaden kommt. Uns ist selber auch sehr wichtig, daß wir live eine positive Form von Aggression vermitteln, damit jeder, der Lust dazu hat, ‘geläutert’ aus einem Oomph!-Konzert kommen kann.”
aufgelauert, angeschlichen – aufgespürt und abgelenkt – abgeschossen, abgezogen – ausgestopft und hingehängt – … – mensch – und du machst dir die welt untertan – und danach, wenn die arbeit getan – ja dann schaust du im spiegel dich an – sie nur hin, dann erkennst du dich: – bastard! – sieh! – das abbild des schöpfers
Live werden die Wolfsburger wie gewohnt reine Power und pure Musik bieten, keine Performances oder Pyro-Show. “Wir werden natürlich den Sound mit den neuen finanziellen Mitteln optimieren, aber ansonsten sind wir von der Eigenständigkeit unserer Musik soweit überzeugt, daß wir keine Pyros brauchen. Die sollen ja ohnehin bei vielen Bands nur vom Originalitätsdefizit der Musik ablenken. Wir wollen hingegen ehrlich herüberkommen. Das Verstecken hinter einer künstlich errichteten Fassade überlassen wir nach wie vor anderen Bands.”
Wir lassen kurz noch einmal die bisherige Karriere der Jungs Revue passieren und sprechen über die Highlights und Enttäuschungen der bisherigen Jahre. “Mit Sicherheit waren die Gigs in New York im Rahmen des ‘New Music Seminars’ ein Highlight. Darüber hinaus sind Festivals, vor allem Open-Air-Geschichten, immer wieder faszinierend. Besonders aufregend sind die Dinger, bei denen das Line-Up der Bands völlig skurril ist. Wir haben im Sommer z.B. auf einem Festival direkt nach den uralten Heavy-Heroen von Saxon gespielt, das war schon irgendwie schaurig. Darüberhinaus haben wir schon mit den unterschiedlichsten Bands zusammengespielt: Front 242, Manowar, S.O.D., Madball, Sick Of It All, Biohazard, Skunk Anansie, Exploited – um nur einige zu nennen. Je abgefahrener die Zusammenstellung des Festival-Line-Ups, desto größer die Herausforderung für mich, da es immer wieder Spaß macht, mit den einfachsten Mitteln, nämlich Musik und Mimik, auch die Leute mitzureißen, die normalerweise nicht auf Oomph!-Konzerte gegangen wären. Zu spüren, daß du allein durch dich selbst und deine Musik Leute hinzugewonnen hast, und nicht etwa nur durch eine pseudo-spektakuläre Lightshow, das ist das Allerschönste für mich. Eine der größten Enttäuschungen war mit Sicherheit die stiefmütterliche Behandlung unserer ehemaligen Plattenfirma. Dafür ist der Vertrag mit Virgin ein weiteres Highlight.”
Die persönlichen Beziehungen zueinander scheinen bei Dero, Flux und Crap als Band in jedem Fall noch gut zu funktionieren. “Wir haben mittlerweile ein bandinternes Verhältnis wie das einer langen Ehe. Jeder kennt die Macken, aber auch die Vorzüge des anderen ganz genau und kann sich somit recht gut auf den anderen einstellen. Streßsituationen können zwar immer noch nicht vermieden, aber mittlerweile viel besser gemeistert werden.” Für die Freundschaft der Jungs spricht auch, daß sie einiges privat zusammen unternehmen, abseits der Musik. “Heiligabend treffen wir uns schon seit etwa zehn Jahren regelmäßig bei jemandem aus unserem Freundeskreis. Da ist dann natürlich die gesamte Band (inklusive Live-Drummer Leo und Live-Bassist Tobi) plus Anhang anwesend, und wir veranstalten so eine Art ‘Fun-Julklapp”, eine Geschenktauschaktion mit irgendwelchen skurrilen Geschenken. Danach gibt’s die schrägsten Videos zu sehen, die im entferntesten etwas mit Weihnachten zu tun haben – und da gibt es wirklich einige sehr abgefahrene Exemplare…! Darüber hinaus gehen Flux, Leo, Tobi und ich regelmäßig ins Stadion zum VfL Wolfsburg, da wir jeder stolzer Besitzer einer Dauerkarte sind. Zum Glück gibt es in Wolfsburg keine Hooligan-Szene, so daß die Spiele wirklich Spaß machen.” Wo Dero gerade dabei ist … was tut er sonst so? “Ich gehe gerne und oft ins Kino und besitze selbst auch etwa 1000 Videos. Darüber hinaus höre ich sehr viel Musik und gehe lieber auf Privat-Parties als in Discotheken. Im Sommer veranstalte ich selbst regelmäßig rein vegetarische Grill-Parties bei mir zuhause.” In puncto privater Musikgenuß belustigt sich Dero über Bands, die behaupten, sie würden nur sich selbst hören, um sich nicht von jemand anderem beeinflussen zu lassen. “Das ist doch absoluter Bullshit! Es ist klar, daß jeden Künstler auch das beeinflußt, was er privat hört, dagegen kannst du dich meiner Meinung nach auch gar nicht wehren. Ich höre gerne andere Musik und fände es mehr als vermessen, zu behaupten, meine Musik würde mir zur Befriedigung meiner musikalischen Triebe genügen. Sie nimmt zweifelsohne den größten Platz in meinem Leben ein, aber ich brauche privat auch mal Musik, die im krassen Gegensatz zu dem steht, was wir machen. Diesbezüglich bevorzuge ich zur Zeit Björk, Tool, Korn, Deftones, Film-Soundtracks und viel Klassik. Ich habe stets versucht, meinen musikalischen Horizont so weit wie möglich zu halten.” Ich frage, bevor ich zur eigenen Musik zurückkehre, noch rasch nach dem Lieblingsalbum aller Zeiten. “Meines ist ‘Kiss me, kiss me, kiss me’ von The Cure, Fluxs ist das ‘White Album’ der Beatles und Craps ‘D.A.F.’ von D.A.F..”
Ein mögliches thematisches Umfeld für kommende Songs kann Dero noch nicht nennen. “Diesbezüglich steht noch gar nichts fest, da es zur Zeit lediglich einige musikalische Ideen, ohne Text, gibt. Aber ich bin mir sicher, daß es in meiner Umgebung und an mir selbst auch in Zukunft noch genügend zu bemängeln gibt.” Ich frage Dero, warum er solche Selbstzweifel besitzt. “Es gibt sehr viele Eigenschaften, die ich an mir hasse, aber da ich mir bewußt über viele meiner Macken bin, bin ich auf dem besten Wege, diese zu bekämpfen, da ich durch viele negative Eigenschaften schon viele mir sehr nahestehende Menschen verletzt habe.” Kann ein sich selbst so kritisch gegenüberstehender Mensch denn glücklich sein? “Leider überwiegen immer noch die depressiven Abschnitte in meinem Leben, aber dafür genieße ich die kurzen Glücksphasen um so intensiver und weiß diese auch zu schätzen.”
take a look at my life – do you see what i need? – (you) better give me the knife – (you) better leave me to bleed – i hate my lies – i hate myself – i hate my life – i hate myself
Vorerst braucht Dero aber gar nicht in sich zu gehen, ist doch die nahe Zukunft fest verplant. “Touren und Promoten. Da wir, Virgin, unser Verlag Warner Chappell und unser Live-Management MCS absolut von ‘Unrein’ überzeugt sind, werden wir natürlich verstärkt auf die Promotion unseres Albums in Form von Live-Präsenz setzen. Zum Release wird es erst einmal vier Gigs in kleineres Clubs zu Promotion-Zwecken geben (Köln, Hamburg, München, Berlin).
Anschließend werden wir auf ausgedehnte ‘Unrein’-Deutschland-Tour gehen, bei der wir allerdings auch einige andere europäische Länder streifen werden. Darüber hinaus werden wir im Sommer natürlich so viele Festivals wie möglich mitnehmen.” Vorher wird sicherlich noch eine zweite Maxi-CD aus dem Album erscheinen, es steht allerdings noch nicht fest, welche es sein wird. “‘Unsere Rettung’ und ‘Willst du mein Leben entern” sind im Gespräch. Die Bonus-Tracks dieser zweiten Auskopplung stehen mit ‘This Time’ und einem sehr abgefahrenen Halb-Instrumental namens ‘4 Mose/ Numeri 19’ allerdings schon fest. Es wird übrigens von ‘Gekreuzigt’ noch eine limitierte Maxi-CD als Metall-Box geben, auf der der ‘uncut’-Beitrag von Jelly & Fish und noch ein weiterer Remix von Myer, dem Jungle-Projekt von Haujobbs Daniel Myer, zu finden sein werden.”
Was immer Oomph! auch alles auf die Beine stellen, ich bin sicher, daß die Jungs 1998 endlich den Erfolg haben werden, den sie schon lange verdienen. Ich kann jedem nur die hervorragende CD und ebenfalls gute Maxi-CD ans Herz legen, und live sollte man sich die energetische Show sowieso nicht entgehen lassen. Ich wünsche der Band in jedem Fall alles Gute.