Home MusikInterviews Slut zu ihrem Album “Lookbook” (02/00)

Slut zu ihrem Album “Lookbook” (02/00)

Autor: Tobi

Eines der interessantesten und besten Alben dieses Frühjahres präsentieren uns Slut aus Ingolstadt. “Lookbook” haben Christian Neuburger (28, Gesang und Gitarre), sein Bruder Matthias Neuburger (22, Drums), Rainer Schaller (27, Gitarre), Gerd Rosenacker (26, Bass) und Rene Arbeithuber (26, Keyboards) ihr Album genannt, auf dem sie melancholischen Gitarrenpop bieten, der abwechlungsreicher kaum sein könnte, mal etwas progressiver, meist aber lieber ruhig und tiefsinnig.

Seit 1995 spielen die fünf Jungs zusammen und veröffentlichten mit “For Exercise And Amusement” (1996) und “Interference” (1998) bereits zwei Alben beim Indie-Label Sticksister Records, bevor sie nun beim Major Virgin erscheinen. Erste größere Aufmerksamkeit konnten Slut im letzten Jahr bereits dadurch erregen, dass sie einige Stücke zum Soundtrack des besten deutschen Films des Jahres, “Crazy”, beisteuerten, von denen “Welcome 2” dann auch als Single erschien, welches sich genauso auf “Lookbook” findet wie die aktuelle Single “It Was Easier”. Wir führten ein ausführliches Gespräch mit Drummer Matthias.

 

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“Bands, die andere Musik machen, kommen bei Festivals besser an, die mehr zum Hüpfen animieren oder so. Ernsthaftere Musik, wie wir sie machen, ist oftmals da weniger tauglich.”

MUM: Ich fange mal mit einer Standardfrage an: warum heißt euer neues Album “Lookbook”?

M: Es gibt eine Geschichte dazu. Vor etwa einem Jahr hatten wir die Idee, ein Buch zu machen statt Musik. Wir haben da viele Texte der verschiedenen Bandmitglieder zusammengetragen, auch Fragebögen ausgefüllt – so eine Art Bestandsaufnahme eben. Es gab auch Grafiken dazu, jeder von uns hat Sachen gemalt, die er passend fand. Das ist ein kleiner Ordner geworden, aber wir haben uns dann gedacht, dass wir vielleicht doch lieber wieder Musik machen sollten. So entstand aber der Titel, weil das Ganze eben auch eine Art Buch ist, die Bestandsaufnahme eines bestimmten Menschen, Andy heißt er übrigens.

MUM: Findet man den Buchcharakter im Booklet wieder?

M: Ja, findet man. “Schaubuch” wäre ja die Übersetzung von “Lookbook”, was im Englischen, glaube ich, gar nicht existiert. Da sind viele Grafiken aus der damaligen Zeit enthalten, die Texte sind alle abgedruckt – ja, man könnte sagen, das ist ein Auszug aus dem Ordner.

MUM: Wie seid ihr jetzt an Virgin geraten?

M: Wir haben irgendwann die Zusammenarbeit mit unserer damaligen Plattenfirma beendet, weil wir uns dort musikalisch nicht mehr richtig aufgehoben fühlten. Dann haben wir wieder Demos gemacht und verschickt. Eines der Angebote, die wir bekamen, war eben von Virgin, und es hat uns sehr gut gefallen. Nicht nur die geografische Nähe zu Ingolstadt, die natürlich ein Vorteil ist, die Leute sind auch sehr nett, und wir bereuen das bisher bestimmt nicht.

MUM: Ihr habt euch also nicht mit euren vorherigen Alben beworben?

M: Ich glaube, die kannten die Alben schon. Aber es ist ja grundsätzlich so, dass Plattenfirmen immer neues Material hören wollen.

MUM: Schreibt ihr die Texte gemeinsam?

M: Nein, die schreibt alle mein Bruder, der Christian.

MUM: Erkennt sich Christian in dieser fiktiven Person Andy, um die sich das Album also dreht, wieder?

M: Mit Sicherheit. Einerseits ist das autobiografisch, andererseits haben wir anderen ja auch Texte für das Lookbook entworfen, also finden sich in Andy auch Züge von uns wieder. Ich glaube, wir sind charakterlich ziemlich ähnlich.

MUM: Welche Charakterzüge von Andy sind denn für deinen Bruder typisch?

M: Wir sind grundsätzlich alle recht ernsthafte Menschen, manchmal kleine Psycherl, aber jetzt nicht dramatisch, überhaupt nicht. Andy steht immer zwischen Identitätsfindung und Identitätsverlust, das ist sehr überspitzt etwas, was wir auch schon empfunden haben, aber natürlich nicht in dem Maße.

MUM: Das klingt aber nicht nach einem glücklichen Dasein.

M: Doch, ist es aber. Das sind Dinge, die jeden bewegen. Wir denken eben viel nach, schreiben viel nieder. Man leidet manchmal gerne, wenn es einen Anlass gibt, und dann freut man sich wieder über irgend etwas. Das ist aber nichts Besonderes, das steckt doch in jedem drin.

MUM: Zur Musik. Klangen die vorigen Alben anders?

M: Ja, auf jeden Fall. Das erste Album war das rockigste, das härteste. Das ist etwa fünf Jahre her, und wir hatten da nur Lieder, die wir auch schon live gespielt hatten, aufgenommen. Das zweite Album klang mehr nach Studio, da kam auch erstmals Elektronik dazu, und das war auch nicht mehr so hart. Eine unserer Vorgaben ist, dass alles möglich sein muss, wir wollen uns nicht einschränken.

MUM: Siehst du euch im Alternative Pop, oder wo?

M: Mit dem Begriff kann ich nicht viel anfangen, ich weiß nicht, was er genau meint.

MUM: Hmm, vielleicht ist damit ja das Moll gemeint, was bei euch drin liegt.

M: Dann könnte man es sagen. Ich nenne das einfach Popmusik. Es gibt eine gewisse Grundstimmung, die sich seit der ersten Platte durchzieht, und das ist diese gewisse Melancholie, obwohl das ja auch nicht immer was mit Traurigkeit zu tun hat. Berührtheit ist vielleicht ein besserer Begriff.

MUM: Hatten die ersten beiden Platten auch einen roten Faden, oder waren das alleine für sich stehende Stücke?

M: Also so einen roten Faden wie jetzt gab es nicht. Man hat das einzelne Lied auch mit seiner Struktur viel mehr im Vordergrund gesehen, dass es ein abgeschlossenes Lied wird, mit Strophe – Refrain – Strophe – Mittelteil – Refrain. Da gibt es auf der neuen Platte viele Stücke, die aus der Reihe fallen.

MUM: Wollt ihr irgend etwas aussagen mit den Texten, oder ist das nur die Geschichte von Andy?

M: Nein, in Sachen Aussage halten wir uns da sehr zurück. Es ist wichtig, dass Musik und Text homogen sind und eine Einheit bilden, das war uns immer wichtig. Wir würden nicht irgend einen Schmarrn singen, nur weil das metrisch passt, da würde uns nichts einfallen, aber eine Aussage weiter zu geben, das liegt uns fern. Wie vorhin beschrieben, geht es um eine Geschichte, die eigentlich keine ist. Man kann etwas dahinter entdecken, wenn man will, wenn man Musik und Texte vor sich hat, aber es gibt nichts, worauf wir den Hörer stoßen wollen.

MUM: Wenn ihr das Album mit dem Song “Hope” beendet, dann ist dies aber bewusst ein hoffnungsvoller Ausblick eines Menschen, der auf der Suche ist?

M: Ja, so kann man das sehen.

MUM: Ich habe gelesen, ihr habt für die Band ein altes Schloss angemietet. Macht man das einfach mal so?

M: Das ist missverständlich. Irgendwann ist das Gebäude zwar mal als Schloss gebaut worden, aber sehr klein und bescheiden, vor 400 Jahren, und heute sieht das dann auch gar nicht mehr aus wie ein Schloss, sondern eher wie ein Gutshaus.

MUM: Ich dachte, ihr lauft mit Krone und Zepter herum.

M: Nein.

MUM: Es wohnen aber immer noch welche von euch dort, oder?

M: Ja, zwei von uns. Es ist eben der Ort, wo unser Proberaum ist, und unser kleines Studio, in dem wir vorproduzieren, daher halten wir uns zu fünft meist dort auf.

MUM: Wart ihr schon bei Virgin, als ihr die Songs zu “Crazy” beigesteuert habt?

M: Nee, ich glaube, das kam ziemlich gleichzeitig, das hatte beides nichts miteinander zu tun.

MUM: Was habt ihr für Auswirkungen gemerkt nach dem Film?

M: Natürlich ist man einer breiteren Masse bekannt geworden. Das Publikum von “Crazy” ist ja eher jüngeren Semesters, und denen waren wir vorher weniger bekannt. Auch die Single “Welcome 2” ist hauptsächlich durch den Film ermöglicht worden. Es hat also auf jeden Fall etwas gebracht.

MUM: Erklär mir doch mal kurz die Story des “It Was Easier”-Videos. Da läuft jemand dem roten Faden nach und findet zum Schluss einen Raum, in dem ihr spielt. Ist das dann sein Dasein, welches er gesucht hat?

M: Es ist so, dass die Idee für das Video von uns und dem Regisseur zusammen stammt. Wir wollten einen roten Faden haben, und er hat das wörtlich genommen. Mein Bruder läuft also diesem roten Faden hinterher und spielt am Schluss mit der Band, und er landet am Schluss im Coverartwork der CD, welches ja auch wieder ein Auszug aus dem Lookbook ist.

MUM: Was erwartet man denn, wenn man mit Virgin im Rücken und einem guten Album im Gepäck an den Start geht?

M: Wir haben die Prämisse, dass wir schalten und walten dürfen, wie wir wollen, und die Plattenfirma hat uns wirklich alles machen lassen, daher fühlen wir uns dort auch sehr wohl. Jetzt schauen wir mal, wie weit man kommt. Wenn man vielen Leuten gefällt, dann ist das natürlich umso besser.

MUM: Die Wahl, “It Was Easier” als Single zu veröffentlichen, habt also ihr getroffen.

M: Ja, das stand aber irgendwie von Anfang an fest. Mit dem Stück hatten wir uns auch beworben, und es ist einfach am radiotauglichsten.

MUM: Was könnte noch eine Single werden?

M: Es gibt ja bereits das “Welcome 2”, wir haben also ja schon zwei Singles, daher ist fraglich, ob noch eine weitere erscheint. Es gab mal Überlegungen, “Andy” vielleicht auszukoppeln, aber das ist noch sehr fraglich.

MUM: Wenn “It Was Easier” ein Erfolg wird, dann werdet ihr euch aber ja sicher nicht weigern, falls Virgin noch eine weitere Single ins Rennen schicken will.

M: Man muss sich eben klar werden, ob man als Singleband durch einzelne Lieder funktioneren will, oder ob man mehr Wert auf das Album legt, und ich denke schon, dass uns das Album wichtiger ist.

MUM: Gut, aber wenn man einen großen Bekanntheitsgrad erreichen will, dann ist dies mit Singles eben einfacher.

M: Ja, du hast schon Recht, das hängt mit dem Erfolg von “It was Easier” zusammen, was dann passiert.

MUM: Als ich das Album durchgehört habe, da sind mir einige andere Bands in den Sinn gekommen, an die ihr mich hier und dort erinnert habt. “Minerals” zum Beispiel, da klingen die ersten Töne extrem nach enier anderen Band. Weißt du, wen ich meine?

M: Nicht wirklich.

MUM: The Cure, “Fascination Street”.

M: (lacht) Ja, das haben wir unter uns, glaube ich, auch schon einmal festgestellt. Aber The Cure als Referenz zu haben, das ist okay, weil wir sie sehr schätzen. Das Lied entwickelt sich ja auch anders und hat dann nicht mehr viel mit The Cure zu tun.

MUM: Bei “Caretakers Theme” ist mir von der Art, Hardpop mit Elektronik zu verbinden, die Parallele zu Placebo eingefallen, was aber ja auch keine schlechte Adresse ist.

M: Nein, sicher nicht. Das wird es immer wieder geben, dass Lieder an andere Bands erinnern, aber solange man keine Kopie ist, macht das ja nichts.

MUM: Ich weiß jetzt gar nicht mehr, bei welchem Song mir die nächsten eingefallen sind. Kennst du Grandaddy?

M: Die sind vorhin schon einmal in einem Interview gefallen. Nein, ich kenne die gar nicht.

MUM: Das war ein sehr sphärischer Song, der sehr nach Low-Fi klang. Habt ihr bestimmt Einflüsse?

M: Jeder von uns hört sehr viel Musik, aber das ist breit gefächert und auch erstreckt sich bestimmt über einen Zeitraum von 800 Jahren Musikgeschichte. Bei dieser Platte hat uns auch Klassik stark beeinflusst, und moderne Sakralmusik, ebenso aber auch Musik aus den 60er-Jahren und andere, da kann ich wirklich nichts Bestimmtes nennen.

MUM: Was hast du für Lieblingsbands?

M: Ich höre momentan sehr viel Beatles, die ich jetzt erst so richtig für mich entdeckt habe.

MUM: Und von den neueren Sachen?

M: Eine der besten Veröffentlichungen des letzten Jahres fand ich die “Kid A” von Radiohead, die ist einigermaßen genial. Sowas muss man sich erstmal trauen, auch trauen dürfen.

MUM: Kannst du dir denn vorstellen, dass ihr auch mal noch sehr viel experimenteller werden könntet?

M: Das kann ich jetzt wirklich überhaupt nicht sagen.

MUM: Seid ihr Szenehelden in eurer Gegend?

M: Nein, das kann man so wirklich nicht sagen. Das wäre auch nichts für uns, wir leben lieber ganz normal.

MUM: Sind schon Festivaltermine bestätigt?

M: Wir haben jetzt erstmal eine Liste angefordert, wo wir überall spielen, da haben wir noch gar keine richtige Ahnung. Wir spielen aber eigentlich gar nicht so gerne auf Festivals. Bands, die andere Musik machen, kommen bei Festivals besser an, die mehr zum Hüpfen animieren oder so. Ernsthaftere Musik, wie wir sie machen, ist oftmals da weniger tauglich.

MUM: Ja, aber als Geheimfavorit kann man auch gut punkten, selbst bei Festivals wie “Rock am Ring” oder so, wo viele Hüpfbands sind. Wie sieht es sonst mit der Tour aus, nehmt ihr da jemanden mit?

M: Im Februar haben wir eine englische Band bei, bei der wir uns noch streiten, wie man sie ausspricht, und im Herbst gibt es dann sicher noch eine größere Tour.

MUM: Danke für das Gespräch.

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MUM: Mucke und mehr
M: Matthias von Slut

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