Die Band Steril, 1990 in Oldenburg gegründet, schien eigentlich schon nicht mehr existent, kehrt nun aber doch mit einem neuen, sehr gelungenen Album zurück. “Purification” heißt die Scheibe, die bei Strange Ways Records veröffentlicht wird. Mähne Meenen, Jan Wilking und Axel Tasler hatten zu Beginn ihrer Karriere einen schnellen Aufstieg in der Szene und wurden bald schon mit Top-Acts wie Skinny Puppy und Project Pitchfork verglichen. Nach Erscheinen des Albums “Venustrap” jedoch wurde es ruhig um Steril, und die Jungs engagierten sich fortan für andere Projekte – Mähne hatte Cycletribe, Axel Spectralbeat, und Jan konzentrierte sich auf das Remixen fremder Stücke. Nun sind sie wieder da. Stilistisch hat sich nicht viel geändert, die bandtypische Mixtur aus Gitarren-Riffs, Elektro-Strukturen von Pop bis EBM und treibenden Beats beherrscht immer noch das Klangbild, aber ausgereifter und besser als zuvor. Wir führten ein Interview mit Mähne.
“Einer der Gründe unseres Facettenreichtums ist natürlich der Spaß an eigentlich allem, was ins Becken geht.”
MUM: Im Info zur CD steht, ein Anruf aus Kanada habe euch im Endeffekt dazu bewogen, ein neues Steril-Album aufzunehmen. Wie ist das zu verstehen?
S: Wir hatten zunächst keinen Anlass, nach dem Release der ‚VenusTrap’ LP ein weiteres Album herauszubringen. Lieder dafür waren auf jeden Fall da, doch die desinteressierte und teils inkompetente Szene, deren wir mit unserem Stil ausgeliefert waren, zwang uns nicht gerade zu neuen Scheiben. Wir betrieben unsere Musik bei anderen Bands und in Nebenprojekten, ohne das die Quelle Steril jemals versiegte, als ein Anruf von Jackson Presley alles veränderte und unseren musikalischen Ablauf gehörig durcheinander brachte. Er erzählte uns von einer riesigen Hörerschaft in Amerika und war erschrocken, als wir ihm erzählten, dass eine Platte zwar nahezu fertig war, wir aber kein Label fanden. Er ist ein Fan und zugleich ein Labelmanager, der es fertig brachte, so viele unglaubliche Ideen in kurzer Zeit umzusetzen, dass wir wieder Feuer fingen. Er gab uns Kritiken, die allerdings auch als solche zu verstehen waren, und wir arbeiteten mit Hochdruck an der Fertigstellung eines neuen Albums in der Gewissheit, endlich eine kompetente und einfach sympathische Person im riesigen musikalischen Sumpf gefunden zu haben.
MUM: Ihr präsentiert auf dem neuen Album Songs diverser Stile, von EBM-Metal-Crossover über Breakbeat bis hin zu Synthiepop, Gitarrenpop und technoide Stücke. Habt ihr keine Angst, eure Hörer so zu überfordern, da eure Vielfalt vielleicht nicht ihre ist und sie so nur ein halbes Album toll finden könnten?
S: Das ist eine Selbstverständlichkeit mit der sich ‚Electronic’ überhaupt erst definiert. Die schiere Möglichkeit, elektronisch all das machen zu können, was dem Geist entspringt, ist nach wie vor faszinierend. Allerdings haben wir dabei ja nicht wild im großen Topf herumgefingert, sondern explizit darauf geachtet, das Album als gesamtmusikalisches Werk abzuliefern. Die Tracks sind soundtechnisch vielfältig, jedoch nicht unbedingt szeneübergreifend. Jeder, der seinen Horizont den Gegebenheiten unserer Zeit angepasst hat, sollte ‚Purification’ mit Leichtigkeit konsumieren. Das Album ist Unterhaltung und wir haben es unterhaltend gestaltet.
MUM: Was ist neu auf “Purification”, wo habt ihr euch eurer Meinung nach am meisten weiter entwickelt?
S: Die Nebenprojekte , denen wir während der Pause folgten, waren sehr lehrreich. Axel baute sich ein kleines Studio auf, um ‚SpectralBeat’ zu machen, das klanglich mit kommerziellen Produktionen mithalten kann. Dass er sich dem Mixing und Engineering so sehr widmete, zahlte sich auf unserem ersten komplett selber produzierten Album aus. ‚Purification’ klang schon als Demo wirklich druckvoll und konnte somit auch unser neues Label Strangeways überzeugen. Jan meißelt Remix-technisch alles aus den rohen Songs, was den typischen Klang unserer Band bis heute prägt. Wir profitierten nicht zuletzt durch die immer besser werdende Technik, die revolutionäre Änderungen in unserer Arbeitsweise hervorruft. Textlich haben wir keine Kompromisse gemacht. Es geht sehr persönlich zu und die Lyrics verarbeiten mehr selbst erlebtes als zuvor.
MUM: Welcher der gebotenen Stile macht euch im Studio am meisten Spaß, woran arbeitet ihr am liebsten – und welchen Stil spielt ihr am liebsten live?
S: Einer der Gründe unseres Facettenreichtums ist natürlich der Spaß an eigentlich allem, was ins Becken geht. Gitarrensongs sind nicht wegzudenken und stehen studiotechnisch und noch viel mehr live hoch in unserer Gunst. Es ist einfach der chaotische Schub, den solche Nummern bringen. Ist ein solcher Song in wochenlanger Studioarbeit fertiggestellt, freust du dich über jeden cleanen Technosound, den du hörst, was auch oft in einem reinen Electrosong endet. Die Schwierigkeit und der eigentliche Kitzel besteht allerdings noch immer darin, beide Arten miteinander zu verknüpfen, ohne dass ein Lied dann unrund und holprig klingt, sondern einfach nur glatt aus einem fetten Guss.
MUM: Wie bringt ihr die technoiden Stücke live zu Gehör – genau so oder dann auch härter, mit Gitarren?
S: Axel variiert oft mit Gitarre und neuerdings mit Bass, was uns nochmals super Möglichkeiten bietet, entweder die Punchbeats oder den Druck von Synthielinien zu erhöhen. Um dem Publikum eine Show zu bieten, die unstatisch und actionreich ist, nehmen wir live auch wieder einen Schlagzeuger mit. Jan selbst, frickelt allerdings auch extrem viel Neues und Überraschendes mit Keyboards und Sequenzern dazu. Das führte bislang zu sehr different klingenden Auftritten deren Musik wir nach belieben vom Album abweichen können um auch auf die Hörer einzugehen, denn die Party ist immer für die Gäste – und natürlich für uns.
MUM: Ist es so, dass ihr Drei verschiedene Lieblingsstile habt und deshalb so verschiedene Songs produziert, oder liegen eure Vorlieben im gleichen Bereich?
S: In der Tat gibt es da Unterschiede. Nicht unbedingt hinsichtlich der Bands, die wir hören, sondern eher die Herangehensweise und der unterschiedliche Umgang mit der Musik führt bei uns in der Regel zur Stilvielfalt. Axel kann sehr gut mit Harmonie und Eingängigkeit arbeiten, während mir eher die kranke und rauhe Seite der Musik liegt. Jan hängt am Kick und der qualitativen Präzision, die manche Musik bietet. Wir ergänzen uns oft auch durch Kastration von vollendeten Parts. Anders gesagt, wenn einer über die Stränge schlägt, wird er von zweien gebremst. So ergeben sich unsere Lieder dem gemeinsamen Hang zur Vielfältigkeit und dem Abwechslungsreichtum.
MUM: Welches sind eure Lieblingsstücke auf dem Album?
S: Meines ist ‚Underneath the skin’, ein rockiger Song, der sehr persönliches verarbeitet. Wir haben uns, wie ich denke hörbar, sehr viel Mühe mit ‚Phoenix from the ashes’ gegeben. Der Song hatte mit den ersten Takten alle, die daran gearbeitet haben, fasziniert und berührt. Das gibt es nicht oft. In einem rauchigen und schwitzigen Technokeller würde ich mir ‚Strangepusher’ wünschen. Es ist ein wenig unbehaglich, über das beste Stück zu entscheiden. Die Variabilität, die wir den Hörern bieten, gibt auch uns die Chance, das Lieblingsstück abhängig von der Zeit, dem Blutdruck oder gar dem Wetter zu machen.
MUM: Was ist euch wichtig, wenn ihr einen Song erschafft, was muss er haben, was darf er nicht haben?
S: Was nicht sofort greift, fliegt raus. Eine Regel, die oft bitter denjenigen von uns trifft, der gerade eine Nacht an diesem Teil verbracht hat. Wir haben uns immer auf Funktionalität verlassen. Er muss auf jeden Fall in irgendeiner Weise unterhaltend sein. Dabei achten wir auf den Kick, den man kriegen soll, sei es beim Einsatz einer Linie, einer Gitarre oder des Gesangs. Diese Hürde haben viele komplett fertige Stücke nicht geschafft, die dann ein Album auch nie zu sehen kriegen.
MUM: In zwölf Jahren Bandgeschichte, was war die beste, was die schlechteste Erfahrung?
S: Eine der besten Erfahrungen war die CyberVisionTour 96 mit Covenant und Haujobb, ein paar Wochen in einem Bus leben – das verbindet und es gibt Geschichten zu erzählen, die ein Buch füllen würden. Am Ende der eigentlich nicht sehr Langen Tour hatten wir uns alle schwer verkumpelt und es gab eine sehr schöne Abschlussfeier. Schlechte Erfahrungen finden leider auch nur im Zusammenhang mit Leuten aus der Szene statt, und sie sind es nicht mehr Wert, erwähnt zu werden.
MUM: Mit wem würdet ihr gerne mal auf Tour gehen, wenn ihr die Wahl hättet?
S: Zeromancer wären toll. Wir hören sie gerne und wir glauben, das unser Programm mit oder vor ihrem ein gut ergänztes Konzert geben würde. Nach wie vor, natürlich aus freundschaftlicher Hinsicht, zusammen mit Covenant, was den Abend zwar Abwechslungsreich aber vielleicht auch etwas unstimmig aussehen ließe.
MUM: Wie wird eure nahe Zukunft aussehen, und werdet ihr euch bald wieder euren eigenen Projekten zuwenden?
S: Die Projekte werden verfolgt, aber Steril ist Chefsache. Wir schreiben auf jeden Fall ein neues Album. Nächstes Jahr gibt es uns häufig live zu sehen, worauf wir uns sehr freuen.
MUM: Welche Frage wolltet ihr schon immer mal gestellt bekommen, und wie wäre die Antwort?
S: Die Frage wäre “Plattenvertrag für 1,5 Millionen Euro bei unserer Firma?”, die Antwort “Wo soll ich unterschreiben!?”
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MUM: Mucke und mehr
S: Mähne von Steril