1979 suchte Matt Johnson, 1961 in London geboren, per Anzeige im New Musical Express nach Mitmusikern, um eine Band zu gründen, kurz darauf gibt es The The. Ihr Live-Debüt geben sie als Support von Scritti Politti, spielen dann auch zusammen mit Bands wie DAF, Clock DVA, The Birthday Party oder Cabaret Voltaire. So begann es einst mit The The. Nach Alben wie “Burning Blue Soul” und “Soul Mining” gelang dem Projekt, dessen sonstiges Line-Up von Mastermind Matt Johnson mehrfach ausgewechselt wurde, mit “Infected” 1986 der absolute Durchbruch. Hämmernde, offensive Beats, Soundspielereien und nicht zuletzt Matts Stimme sorgten auf unzähligen Parties für Hochstimmung. Platinstatus wurde erreicht, auch wenn die Radiostationen die Singles boykottierten – zu hart?
Nach drei Jahren Pause erschien mit “Mind Bomb” 1989, und diesmal gehört auch der The Smiths-Gitarrist Johnny Marr zur Besetzung, die erstmals eine The The-Welttournee spielt. Vier Jahre später erblickt “Dusk” das Licht der Welt, und wieder einmal sucht sich Johnson neue Mitstreiter. “This Is The Day” vom “Soul Mining”-Album wird neu aufgenommen und als “That Was The Day” der größte Hit von The The in Großbritannien. Zwei Jahre später erscheint 1995 “Hanky Panky”, ein Album mit Coverversionen von Stücken aus der Feder von Hank Williams. Das Warten auf neue eigene Stücke von The The nahm unterdessen auch in den kommenden Jahren kein Ende. Und warum? Sie wurden mal wieder nicht veröffentlicht, wie schon die Alben “Spirits” (1979, kein Plattendeal) und “The Pornography Of Despair” (1982, Labelprobleme, nur einige White-Labels existieren davon). Diesmal hieß die Scheibe “Gun Sluts” und war 1997 dem Label Epic zu extrem, experimentell und unkommerziell. Johnson weigerte sich, massentaugliche Singles zu produzieren und ging seinen Weg.
Mit dem Gitarristen Eric Schermerhorn, dem Drummer Earl Harvin und dem Bassisten Spencer Campbell suchte er sich neue Bandkumpanen und begann mit den Arbeiten an einem neuen Album. Nach 17 Jahren bei Epic unterzeichnen The The beim amerikanischen Label Nothing, und nun, sieben Jahre nach “Dusk”, erscheint mit “NakedSelf” ein neues Album. Nicht nur dies, Matt hat auch sein eigenes Label Lazarus ins Leben gerufen und veröffentlicht auf diesem die EP “Interpretations Volume One – ShrunkenMan”, wo neben The The noch drei andere Bands (Foetus, Daau und John Parish) Matts Song “ShrunkenMan” (von “NakedSelf”) interpretieren, und er plant die Veröffentlichung der drei unveröffentlichten Alben für die nahe Zukunft. Auch ein zweites Album mit Coverversionen steht an, diesmal mit Stücken von Robert Johnson. Keine normale Bandgeschichte – Grund genug für ein Interview mit Matt Johnson.
“Das Radio ist eine Farce geworden. Alles, wofür man sich da noch interessiert, sind Boygroups und Dance-Musik.”
MUM: Siehst du The The als Matt Johnson mit austauschbaren Musikern oder hast du momentan welche, mit denen du dir vorstellen könntest, mal längerfristig zusammen zu arbeiten?
MJ: Das kann ich unmöglich jetzt sagen. Ich sehe sie aber nicht als austauschbar. The The ist mehr eine konzeptionelle Band, wobei ich mit vielen verschiedenen Musikern kollaboriere, mit denen ich gerne mal arbeiten würde. Ein permanentes Line-Up war nie im Gespräch, ich will das nicht. Ich bin über die Musiker, die ich momentan habe, sehr glücklich, aber ich könnte auch mit anderen arbeiten.
MUM: Magst du denn vielleicht den Punkt, dass neue Musiker auch immer neue Ideen mit in die Band bringen?
MJ: Ja, sie haben alle etwas, was sie einbringen möchten. Ich mag Bands nicht, die zu lange in der gleichen Besetzung spielen. Sieben Jahre halte ich für eine gute Periode. Die Aufnahmezeit der Beatles war sieben Jahre lang toll. Schau dir die Rolling Stones an, nach sieben Jahren haben sie angefangen, sich selbst endlos zu wiederholen. Ich finde es gut, immer mit anderen Musikern zu arbeiten. Die Zusammenarbeit dauert, solange sie funktioniert, ob das nun vier oder fünf Jahre sind. Wenn jemand der Meinung ist, er habe keine Lust mehr, dann zerbricht sie.
MUM: Bleibst du danach denn in Kontakt mit Leuten wie zum Beispiel Johnny Marr, oder nicht?
MJ: Oh doch, mit den meisten schon. Oft ist das ja auch eine Freundschaft, nicht nur eine professionelle Kollaboration.
MUM: Wie suchst du dir denn neue Musiker aus?
MJ: Das Wichtigste ist ein erstes Treffen. Dann wird natürlich auch viel von Mund zu Mund weitererzählt. Wenn ich beispielsweise einen Drummer suche, dann erzähle ich das ein paar Leuten, und kurz darauf bekommst du Namen gesagt und Empfehlungen, dir den einen oder anderen anzuhören. Aber ein Treffen ist immer das Entscheidende. Wenn man sich versteht, dann ist das gut. Das ist das gleiche, als wenn du eine Frau triffst. Entweder macht es Klick, oder nicht, man merkt das schnell.
MUM: Du lebst jetzt in Chinatown. Warum bist du von London nach New York gezogen?
MJ: Ich liebe chinesisches Essen, und in London bekommst du kein wirklich gutes.
MUM: Ich habe gelesen, dass es dich inspiriert habe, dort zu leben. Inwiefern?
MJ: Ich war in London einfach uninspiriert. Ich liebe London, aber ich war mein ganzes Leben lang dort. Irgendwann geht dir die Umgebung auf den Keks, und ehrlich gesagt fühlte ich mich in New York schon länger heimisch, warum auch immer. Chinatown ist toll, weil ich einfach nicht verstehe, was die Leute um mich herum reden. Das ist prima, um einfach in einem Cafe zu sitzen und zu schreiben. Es ist auch sehr familiär dort. Ich mag Gegenden, die im herzen liegen, keine Vorstädte. Entweder lebe ich mitten in einer Stadt oder völlig auf dem Land, aber nicht dazwischen, dort fühle ich mich nicht wohl.
MUM: Ich habe über die Probleme mit Epic aufgrund der “Gun Sluts” gelesen. Wird die Scheibe noch veröffentlicht?
MJ: Ja. Ich habe jetzt mein eigenes Label, Lazarus, und ich veröffentliche dort “Gun Sluts”, “The Pornography Of Despair” und “Spirits”. Dies hier ist auch etwas, was ich gemacht habe (Matt hält mir die “Interpretations Volume One – ShrunkenMan”-EP hin). Die ist The The, aber mit anderen Künstlern. Davon machen wir eine ganze Serie und ein Album, auf Lazarus. Wir haben damit gerade erst begonnen. “Gun Sluts” war nicht das Richtige für Epic. Sony hat sich geändert – nein, ich habe mich geändert, und es hat einfach nicht mehr funktioniert. Es ist schade, weil ich gerne bei Sony war. Dort erscheint auch noch eine Singles-Compilation. Es passiert viel. Bei meinem Label werde ich aber keine anderen Künstler unter Vertrag nehmen, ich will nur kollaborieren. Ich habe auch eine zweite Band gegründet, die The Others heißt. Das sind die Künstler, die auch hier (zeigt auf die EP) drauf sind. Bei meiner zweiten Tour durch England im Juni werden auch The Others auftreten, Leute wie John Parish und Daau.
MUM: Ich verstehe jetzt nicht so recht. Treten diese Künstler alleine auf, oder alle zusammen?
MJ: Kombinationen, sowohl alleine als auch mit anderen zusammen.
MUM: “Gun Sluts” war also nicht kommerziell genug.
MJ: Nein, so war das nicht ganz. Ich hatte Demos aufgenommen, und die Leute von Sony kamen nach New York geflogen und waren völlig erschreckt. Sie meinten, das wäre abscheulich und wurden sehr ärgerlich, weil sie einiges an Geld ausgegeben hatten, um diese Demos zu machen. Sie sagten mir, dass sie die Produktion davon nicht bezahlen würden, also habe ich alles beiseite gelegt und mit der Arbeit an NakedSelf begonnen. Aber selbst hier sagten sie, dass man kommerziellere Singles brauche. So ein Scheiß! Mein Vertrag war ausgelaufen, so dass Sony keinerlei Optionen auf mich hatte, und ich sagte ihnen, dass ich nicht wieder unterschreiben würde, weil ich dieses Album machen wollte. Ich konnte es gar nicht dort veröffentlichen, weil sie es nicht promotet hätten. Es hat dann ein Jahr gedauert, bevor ich die Rechte für das Album wieder völlig in meiner Hand hatte. In dieser Zeit bin ich in mein Studio in London gegangen und habe die “Gun Sluts” aufgenommen. Ich habe sie noch nicht abgemischt, das mache ich erst noch. Es war also einiges los in den sieben Jahren zwischen “Dusk” und “NakedSelf”.
MUM: Wie klingt denn die “Gun Sluts”?
MJ: Es gibt einen Track von “Gun Sluts”, der auf “NakedSelf” zu finden ist, nämlich “DieselBreeze”. Er vermittelt einen Eindruck, wie “Gun Sluts” klingt.
MUM: Mal den Stress mit Epic beiseite gelassen, du brauchst ja generell einige Jahre, um ein Album zu machen. Was schluckt Zeit, sind es die Sounds, oder die Songs, woran arbeitest du so lange?
MJ: Das Textschreiben braucht viel Zeit. Musik nicht, damit habe ich keine Probleme, sie zu machen. Natürlich, auch die Soundtüftelei im Studio braucht Zeit. Als ich 15 oder 16 Jahre alt war, da habe ich als Tontechnikerassistent gejobbt. Für mich ist das Studio ein Instrument, ich bin gerne dort und arbeite an Sounds herum, bis alles so ist, wie ich es mir wünsche. Ich bin auch ständig am Songschreiben, was natürlich Zeit schluckt. Ich habe hunderte von Stunden unveröffentlichter Sachen.
MUM: Du wirst auch ein Robert Johnson-Coveralbum veröffentlichen.
MJ: Ja, das stimmt. Ich habe es bereits vorproduziert, aber noch nicht aufgenommen. Ich wollte es auch jetzt nicht herausbringen, weil die Hank Williams-Coverscheibe ja die letzte war, die herauskam, und da wollte nicht gleich noch so ein Album anschließen.
MUM: Du machst das, weil die Künstler Favoriten von dir sind?
MJ: Ja, das sind sie.
MUM: Was können wir denn in den Liveshows erwarten, spielst du auch viele alte Songs?
MJ: Ja, wir spielen das neue Album und acht bis zehn alte Songs, zwei von jedem Album. So ist das alles sehr ausgeglichen zwischen den älteren und neuen Sachen.
MUM: Was denkst du denn heute, wenn du einen Track wie “Infected” hörst, der ja doch völlig anders klang?
MJ: Das war nicht aggressiv genug. Damals natürlich waren die Stücke sehr aggressiv, ich meine, das Album inspirierte solche Bands wie Nine Inch Nails und wurde von den Radiostationen verbannt, weil es zu aggressiv gewesen sein soll. Aus heutiger Sicht hätte das aber noch viel aggressiver sein können, es war zu sauber, ich mag es dreckiger.
MUM: Wenn du solche Songs heute spielst, transportierst du sie in den neuen Sound, oder wie macht ihr das?
MJ: Ja, wir versuchen das schon, aber wir haben nur zwei Gitarren, Bass und Drums, also sehr limitierte Möglichkeiten. Ich versuche aber schon, das zu aktualisieren und aggressiver zu machen.
MUM: Im Internet habe ich ein Statement von dir gelesen, dass du große Zweifel hattest, überhaupt wieder live zu spielen. Hattest du damals schlechte Erfahrungen damit, oder lag das nur an der langen Abstinenz von der Bühne?
MJ: Es war die Zeit, sechs Jahre ohne Auftritte sind lang. Um ehrlich zu sein, ich habe nun auch einen kleinen Sohn, und ich wusste einfach nicht, ob ich das wollte, ein Jahr unterwegs zu sein und in Bussen zu schlafen. Die ersten Shows waren aber alle so gut, dass ich mich sehr wohl fühle. Überall war ausverkauft und die Stimmung war auch prima.
MUM: Du hast im Internet auch gesagt, dass es wie in einem Alptraum ist, ein Teil des heutiges Musikbusiness zu sein. Wie meintest du das?
MJ: Das ist alles so zusammengewachsen, mit den Fusionen. Seagram hat Universal gekauft, Polygram auch, und alles zusammengeworfen. Das ist chaotisch, absolut. Keiner weiß genau, was er zu tun hat. Ich spreche jetzt nicht über die Leute in den Firmen selbst, die sind nicht das Problem. Es sind die großen Besitzer, die das Chaos machen. Seagram ist scheiße, so dass das mit Universal ein Desaster ist, ein Alptraum. Meine beiden Manager und ich müssen die meiste Arbeit selbst erledigen. Nichts wird sofort gemacht, du musst erst 20 Mal drauf drängen. Das ist so eine Scheiße. Sieh mal, wir haben zum Beispiel dieses hier gemacht, ein tolle Photo-Booklet für die “NakedSelf”. Wir haben gebeten, das in Europa allen Presseleuten zukommen zu lassen, zwei Monate vor Veröffentlichung des Albums. Und? Niemand hat das je zu Gesicht bekommen.
MUM: Das ist wirklich gut gemacht, kannte ich vorher auch nicht. Meine CD sieht anders aus.
MJ: Ich weiß. Ich war total sauer deswegen. Auch das Radio ist eine Farce geworden. Alles, wofür man sich da noch interessiert, sind Boygroups und Dance-Musik. Es gibt keinen Raum mehr für Vielseitigkeit. Großartige Künstler wie Tom Waits verlieren ihre Plattenverträge, und viele tolle Bands bekommen erst keine Verträge. Das ist entsetzlich. Ich sehe eine Möglichkeit, dass Bands über das Internet ihre in Eigenproduktion hergestellten CDs selbst vertreiben. Das Einzige, wofür du ein Label brauchst, ist das Geld, das sie dir geben, um zu produzieren. Ich denke, dass die Plattenfirmen selbst in fünf Jahren nicht mehr so existieren, sondern nur noch Teil von Internet-Firmen sind, so wie jetzt AOL mit Time Warner fusioniert haben. Das ist bestimmt eine gute Sache. Bands sind heute einfach durch das Internet in der Lage, sich selbst gut darzustellen. Du kannst heutzutage auch mit geringem finanziellen Aufwand tolle Soundqualität erreichen. Dies ist eine Zeit der aufregenden Herausforderungen.
MUM: Was hältst du sonst vom Internet?
MJ: Ich habe gemischt Gefühle. E-Mail ist eine großartige Sache. Das Netz ist aber zu ausgelastet, zu langsam. Ich mag auch diese ganzen Firmen nicht, die man dort findet. Es war eine großartige Idee, das Netz als Fläche zum Informationsaustausch über die ganze Welt zu erschaffen, aber die Firmen machen es kaputt. Das ist doch schon fast wie in einem Einkaufszentrum. Es hängt von den Individuen ab, dagegen etwas zu tun. Jedesmal, wenn ich meine E-Mails abrufe, dann habe ich irgendwelche Werbe-Mails dabei, das macht mich wahnsinnig. Und diese Cookies hasse ich, das ist doch eine Verletzung von Rechten und es sollte viel mehr Protest dagegen geben.
MUM: Bist du involviert in die Arbeit an deiner Webseite?
MJ: Ja, bin ich. Quincy kümmert sich von Los Angeles aus um die Seite, aber ich mache schon auch etwas mit. Ich wollte, dass die Seite etwas wie die “NakedSelf” aussieht, und sie geht in diese Richtung.
MUM: Kommen wir nochmal zur “Interpretations Volume One”. Wie kamst du auf diese Idee?
MJ: Das ganze Musikbusiness ist so ideenleer. Nimm zum Beispiel die Unplugged-Geschichte, das war vor 15 Jahren oder so mal neu und interessant, aber sie machen das wieder und wieder, das ist so langweilig. Wenn du also einen Song hast, der für sich gut ist, warum sollst du ihn nicht einem Jungen mit einem Sampler in seinem Zimmer geben und schauen, was er daraus macht? Der würde sich auch Mühe geben. Um die Sache aber interessanter zu machen, dachten wir daran, verschiedene Künstler, die man kennt, den Song interpretieren zu lassen, das ist doch eine tolle Sache. Ich will für jedes Album, das ich mache, auch solch eine EP dazu veröffentlichen.
MUM: Was hörst du zuhause für Musik?
MJ: Nicht viel Aktuelles. Ich mache selbst so viel Musik, und wenn ich dann nach Hause komme, dann will ich meist lieber abschalten. Es gibt großartige Sachen wie Annie DiFranco, sie ist sehr relevant, nicht nur die Musik, sondern auch ihre Karriere. Sie ist ein Vorbild für viele Leute, ich würde jungen Bands empfehlen, sich das anzuschauen.
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MUM: Mucke und mehr
MJ: Matt Johnson